Stirb schön
roch. »Mr Bryce, sagen Sie mir bitte, was passiert ist.«
Tom machte kehrt und verließ den Raum. »Kommen Sie mit, sehen Sie selbst. Sie ist in meinem Computer!«
Chris Willingham folgte ihm die Treppe hinauf in das kleine Arbeitszimmer, dessen Wände mit Büchern, Aktenordnern und Familienfotos bedeckt waren. Auf dem Schreibtisch stand ein aufgeklappter Laptop, der Monitor war dunkel. Tom Bryce drückte auf ENTER, der Eingangsordner des E-Mail-Programms erschien.
Hier drinnen war der Geruch nach Erbrochenem noch stärker, und Willingham stellte sich möglichst weit weg von der Bescherung auf dem Boden. Bryce setzte sich, schaute stirnrunzelnd auf den Bildschirm und klickte durch den Ordner.
»Sie war hier«, sagte Tom. »Eine E-Mail mit Anhang. Scheiße, wo ist die geblieben?«
Willingham sagte gar nichts. Tom schien sich vorübergehend beruhigt zu haben, doch dann flippte er erneut aus. »Sie war hier!!!«
Fassungslos schaute er auf den Bildschirm. Die verdammte Mail war verschwunden. Er suchte nach allen Wörtern, an die er sich erinnern konnte. Nichts. Schluchzend stützte er das Gesicht in die Hände. »Bitte, helfen Sie mir. Tun Sie was, finden Sie Kellie, bitte. Mein Gott, Sie hätten sie hören sollen.«
»Sie haben Ihre Frau hier auf dem Bildschirm gesehen?«
Tom nickte.
»Und jetzt ist sie nicht mehr da?«
»Nein.«
Willingham zweifelte allmählich an Toms Verstand. Bildete der Mann sich das alles etwa nur ein? Brach er unter dem übergroßen Druck womöglich zusammen? »Fangen Sie ganz von vorn an, in Ordnung?«
Tom riss sich zusammen und berichtete, was er gesehen hatte.
»Wenn Sie eine E-Mail erhalten haben, muss sie doch noch irgendwo in Ihrem Computer sein.«
Tom suchte im Papierkorb, im Spam-Ordner, in allen Ordnern des gesamten Programms. Nichts.
Eine Sekunde lang fragte er sich, ob das alles eine Täuschung gewesen war.
Aber nicht der Schrei. Niemals.
Er wandte sich wieder an den Constable. »Vermutlich glauben Sie, ich hätte mir das alles nur eingebildet, aber das stimmt nicht, ich habe es gesehen. Wer immer diese Leute sind, sie haben Ahnung von Technik. Diese Woche sind schon mehrere Mails verschwunden, meine gesamte Festplatte war gelöscht.«
Willingham war verunsichert. Der Mann war fertig mit den Nerven, wirkte aber nicht verrückt, stand höchstens unter Schock. Kein Zweifel, irgendetwas war geschehen. »Versuchen wir es noch einmal, Sir. Wir gehen nacheinander alle Dateien durch.«
Nach Mitternacht waren sie fertig. Und hatten nichts gefunden.
Tom schaute ihn flehend an. »Was sollen wir tun?«
Der Familienbetreuer dachte angestrengt nach. »Wir könnten es bei der Abteilung für Computerkriminalität versuchen. Allerdings bezweifle ich, dass um diese Uhrzeit noch jemand im Büro ist. Wie wäre es mit dem technischen Kundendienst Ihres Internetproviders – vielleicht haben die einen 24-Stunden-Service.« Er runzelte die Stirn. »Nein, eigentlich muss ich zuerst DS Grace Meldung machen.«
»Ich versuch’s mal«, sagte Tom und wählte die Nummer der Hotline. Eine Stimme vom Band bat ihn um Geduld. Nach zehn Minuten blödem Gedudel meldete sich jemand mit indischem Akzent, der sehr hilfsbereit klang. Nach weiteren zehn Minuten, die ihm wie zehn Stunden erschienen, meldete der Mann, er könne im System weder die Mail noch den Anhang finden.
Tom drückte wütend das Gespräch weg.
»Was genau hat Ihre Frau gesagt?«, fragte Willingham in einem Ton, der wachsende Skepsis verriet.
Verzweifelt versuchte Tom, sich an den Wortlaut zu erinnern. »›Erzähl der Polizei nichts von diesem Film. Tu genau, was sie dir sagen. Sonst ist Max als Nächster dran. Dann Jessica. Bitte tu, was sie dir sagen. Geh nicht zur Polizei. Sie kriegen es raus.‹«
»Wer sind sie ?«.
»Keine Ahnung.« Er kam sich völlig hilflos vor.
Willingham griff nach seinem digitalen Funkgerät. Tom schloss seine Hand darum. »Nein!«
Langes Schweigen. Weitere E-Mails gingen ein und wurden vom Spamfilter aussortiert. Tom prüfte die Ordner. Nichts.
Schließlich sagte Willingham: »Ich glaube, ich muss das melden.«
»Nein!«
»Die Leitung ist sicher, Sir, sie geht direkt ins System der Polizei.«
»Nein!!«
Es klang so heftig, dass der Polizist beschwichtigend die Hände hob. »Gut, Sir, kein Problem.« Er verzog das Gesicht. »Wie wäre es mit einer Tasse Tee oder Kaffee? Dann überlegen wir, wie wir weiter vorgehen.«
»Kaffee. Kaffee wäre gut. Schwarz, ohne Zucker.«
Der Constable
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