Stirb schön
abgestandenen Plastikgeruch des Taxis.
»Vier Stunden Wartezeit, meine Mum hat Krebs, und die lassen sie vier Stunden mit kaputtem Kopf warten, bevor ein Arzt kommt!«, erklärte der Mann im Radio verbittert.
»Ekelhaft, was?«, meinte der Taxifahrer.
»Und wie«, stimmte Grace geistesabwesend zu und konzentrierte sich auf seine Handytastatur.
»Nette Lady, mit der Sie da unterwegs waren. Hab sie, glaub ich, erkannt. Bin ihr irgendwo schon mal begegnet.«
»Die meisten treffen sie erst, wenn sie tot sind.«
»Ehrlich?« Der Taxifahrer klang belustigt. »Muss wohl ein Engel sein.«
»Genau«, erwiderte Grace und tippte weiter. Schickte ein »XX« zurück.
Er war enttäuscht, als er wenige Minuten später zu Hause ankam und noch keine Antwort erhalten hatte.
42
TOM FUHR RUCKARTIG AUS DEM SCHLAF HOCH , in seinen Ohren dröhnte es, er musste sich erst orientieren. Auf dem Bildschirm rasten Motorräder umher, daher rührte wohl der Lärm.
Er sah sich nach der Fernbedienung um, entdeckte ein leeres Brandyglas auf dem Teppich, und dann blitzte die Erinnerung auf. Er war eingeschlafen. Wie spät war es bloß?
Die Uhr am DVD-Spieler stand auf zehn nach vier. Das konnte unmöglich stimmen. Er sah auf seine Armbanduhr. Zwei Minuten nach vier.
Jetzt raste ein Pulk Motorräder heulend eine Gerade entlang, die er als Abschnitt der Silverstone-Rennstrecke erkannte. Vor einigen Jahren war er auf Einladung einer Firma dort gewesen und auch ein paar Mal beim Großen Preis von Großbritannien. Sie bremsten ab, schossen in eine Baumgruppe. Er schaltete aus und erhob sich langsam. Fühlte sich steif wie ein Brett.
Warum hatte Kellie ihn nicht geweckt, als sie zurückkam? Er wankte mit dem leeren Glas in die Küche und schleppte sich mit letzter Kraft nach oben.
Er schlich auf Zehenspitzen, um niemanden zu wecken, und öffnete die Schlafzimmertür. Sofort merkte er, dass etwas nicht stimmte.
Die Vorhänge waren geöffnet, graues Dämmerlicht fiel herein und auf das leere Bett.
Keine Kellie.
Schon war er hellwach.
Wenn die Kinder Albträume hatten, war sie gelegentlich zu ihnen ins Bett gekrochen. Er sah in beiden Kinderzimmern nach. Nichts.
Er verfluchte seine Dummheit, rannte nach unten und riss die Haustür auf. Kein Audi.
Vorsichtshalber ging er den Bürgersteig auf und ab und schaute in beide Richtungen, vielleicht war sie ja im Wagen eingeschlafen. Keine Spur.
Er sah wieder auf die Uhr und überschlug, wie lange er geschlafen hatte. Wann hatte sie die Babysitterin nach Hause gefahren? Gegen halb zwei. Also vor zweieinhalb Stunden. Es waren nur gute sechs Kilometer.
Eisige Angst stieg in ihm auf. Hatte Kellie einen Unfall gehabt? Hätte sich die Polizei dann nicht längst bei ihm gemeldet?
Oder hatte sie einen ihrer Kellie-Momente, saß irgendwo allein dort draußen? Aber sie würde doch wissen, dass er sich Sorgen machte.
Genau das war jedoch Teil ihres Problems; sie tat manchmal irrationale Dinge, ohne über die Folgen nachzudenken. Bisher hatte sie die Kinder nie wirklich in Gefahr gebracht, häufig aber handelte sie unbedacht. Wie damals, als sie bei Ebay eines ihrer zahllosen »Schnäppchen« ersteigert hatte – eine Woche auf einer Schönheitsfarm, und zwar genau in der Woche, in der er in Deutschland eine Messe besuchte. Was aus den Kindern werden sollte, daran hatte sie nicht gedacht. Sie brauche eben auch ab und zu ein wenig Freiraum, hatte sie ihm nachher erklärt.
Da war doch dieser Moment im Auto gewesen, als sie schweigend vor sich hin starrte. Tat sie das jetzt auch, nahm sie sich wieder mal ein wenig Freiraum? Er hätte es wenigstens gern gewusst.
Er griff zu dem schnurlosen Telefon und wählte ihre Handynummer. Sekunden später ertönte von unten ihr nerviger Klingelton. Er hängte ein.
Na super.
Tom setzte sich aufs Bett, um in Ruhe nachzudenken. Er liebte Kellie trotz ihrer Macken. Sicher, sie hatten ihre Differenzen, kamen in vieler Hinsicht aber auch wunderbar miteinander aus. Beim Abendessen hatte sie so toll ausgesehen, saß dort in diesem Haifischbecken und ließ sich dennoch nicht unterkriegen. Sie hatte den Abend mit erhobenem Kopf durchgestanden, eine gute Figur gemacht, nette Dinge über ihn gesagt, seine Firma im besten Licht dargestellt.
Dann dachte er an den Neid, der in ihrer Stimme mitgeschwungen hatte, als er sie auf der Rückfahrt gefragt hatte, ob sie gern wie die Angelides wohnen würde.
Klar, warum nicht, wenn’s die Dienstboten dazu gibt. Eines Tages haben wir auch
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