Stirb
deutete auf die Hand der Toten, die durch die Leichenstarre verkrampft neben dem Kopf lag.
»Den violetten Totenflecken in der Handinnenfläche nach dürfte der Herzstillstand schon gestern Abend eingetreten sein.«
Kaum hatte er seine Vermutung ausgesprochen, wurde ein Tuscheln unter den Umstehenden laut.
Torbens Blick schweifte zum Fahrrad der Haushälterin, das kaum zehn Meter vom Schlachthof entfernt am Wegesrand lag.
»Keinerlei Hautabschürfungen unter den Nägeln oder Ähnliches, was auf einen Kampf hindeuten könnte.«
Lara nickte.
Im Fahrradkorb lag noch immer die Tüte mit den Sachen, die sie Linz mitgegeben hatte. Und während Torben den Leichnam weiter inspizierte, spürte sie, wie sich ihre Nackenhaare aufrichteten.
Sie hatte Mühe, ihren Blick scharf zu stellen, als sie von ferne einen Leichenwagen und mehrere Polizeiwagen herannahen sah. Allen voran Bernd Petzold, der in seinem Opel Astra unmittelbar vor dem Schlachthof parkte. Aus irgendeinem Grund wunderte es Lara nicht, dass er und seine Männer als Letzte am Tatort auftauchten. Er kam im Stechschritt auf die aufgebrachte Meute zu.
»Aus dem Weg! Nun machen Sie schon Platz, Herrschaften!« Dann knöpfte er sich Torben vor: »Sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Was machen Sie da? Und wer zum Henker sind Sie überhaupt?«
Torben erhob sich, blieb aber ganz ruhig, als wäge er innerlich ab, ob er sich diesen Ton von einem dahergelaufenen Dorfpolizisten bieten lassen wollte.
»Ich bin Gerichtsmediziner an der Berliner Charité«, erklärte er und streckte Petzold ausdruckslos seinen Ausweis entgegen. Doch Petzold gab sich gänzlich unbeeindruckt.
»Jetzt hören Sie mir mal gut zu, Sie Wichtigtuer aus Berlin: Dies hier ist mein Tatort. Wir haben eigene Leute für so was« – er zeigte zu den beiden Kollegen, die ein wenig unbeholfen den Tatort absperrten –, »also machen Sie, dass Sie hier wegkommen!« Der Polizist stemmte die Hände in die Hüften und gab die Sicht auf seine im Holster steckende Dienstwaffe frei, um klarzustellen, wer hier das Sagen hatte. Noch ehe Torben etwas erwiderte, hatte Petzold Freerk Gruber, den Inhaber des Schlachthofs, in der Menge entdeckt.
»Weder ich noch mein Schlachthof haben irgendetwas mit diesem Mord zu tun!«, beteuerte der breitschultrige, handfeste Mann in schmutziger Metzgerschürze ungefragt. Petzold warf ihm einen aggressiven Blick zu.
»Wie damals, was? Da wolltest’ auch nix damit zu tun haben!«
Lara fragte sich noch, was Petzold damit gemeint haben mochte, als ein Windstoß das Laken hob und Barbara Linz vollständig zu sehen war.
Plötzlich taumelte Lara einige Schritte zurück und spürte, wie sich alles in ihr verkrampfte: Linz war mit einem Schnitt durch die Kehle ermordet worden, und Lara wusste nur zu gut, was das zu bedeuten hatte.
Gott, nein!
***
Berlin-Grunewald. Im Frühsommer 1980 …
Andreas hatte sein Abitur endlich in der Tasche, und während er das Gaspedal seines Mustangs bis zum Anschlag durchtrat, überkam ihn ein nie dagewesenes Gefühl von Freiheit. Die Welt stand ihm offen, und er war guter Dinge, seine Vergangenheit ein für alle Mal hinter sich lassen zu können. Er wollte studieren, einen Beruf erlernen, der seinem Leben einen Sinn geben würde.
Die wenigen Sachen, die ihm etwas bedeuteten, hatte er in den Kofferraum seines Wagens gepackt, und ganz gleich, wohin er auch fahren würde, es sollte nur ja weit weg sein. Nichts würde ihn aufhalten können – mit Isabelle Kempitz hatte er allerdings nicht gerechnet …
Die junge Referendarin war anders als die meisten Frauen. Sie war keine Schönheit, war eher unscheinbar, doch für ihn war sie etwas ganz Besonderes. Mit ihrer zierlichen Statur, einer Körpergröße von rund eins fünfundsechzig und ihren hellbraunen Haaren, die auf ihre schmächtigen Schultern fielen, entsprach sie genau jenem Typ Frau, der blutige Gelüste in ihm weckte.
Schon oft hatte er sie beim Lesen in der Schulbibliothek, vor dem Lehrerzimmer in der großen Pause oder aber auf ihrem Nachhauseweg auf ihrem Fahrrad beobachtet. Sein Puls beschleunigte, als er die Referendarin in hellem Sweatshirt und hautenger Leggins entlang der abseits gelegenen Landstraße joggen – oder vielmehr humpeln – sah.
Es war schon fast zu schön, um wahr zu sein: kein Mensch weit und breit, sein Opfer hilflos wie ein verletztes Tier.
Andreas zog seine Baseballkappe tief ins Gesicht, bremste ab und kurbelte das Fenster hinunter. »Alles in
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