Stirb
es der schrille Signalton ihres Blackberrys, der Lara aus ihren Gedanken riss und sie ins Hier und Jetzt an den Esstisch der Pension zurückbrachte. Sie fingerte ihr Telefon aus der Hosentasche und schaute aufs Display. Eine SMS von Frank.
»Liebes, hier verzögert sich alles noch etwas. Tut mir leid, melde mich, sobald ich kann.«
Gekränkt hob Lara den Blick, als sie im nächsten Moment sah, wie sich die Tür zur Küche von neuem aufschob.
»Entschuldigen Sie«, sagte Sylvia Hausmann, »aber die Rügen-Karte, habe ich die hier vielleicht irgendwo …« Sie brach plötzlich ab. »Ist alles okay? Sie sind ja ganz bleich.«
Lara saß noch immer am Küchentisch, als warte sie auf die Erlaubnis, sich zu rühren.
»Ja, nein, ist alles in Ordnung«, sagte sie lächelnd, um sich ihre Bedrückung nicht anmerken zu lassen.
Hausmann sah auf den Blackberry, der mit noch leuchtendem Display vor Lara auf der Tischplatte lag.
»Hat sich Ihr Lebensgefährte gemeldet?«, fragte sie, als könne sie Gedanken gelesen.
Kurz überlegte Lara, ob sie etwas sagen sollte, ermahnte sich aber, den Mund zu halten, schließlich ging Franks Affäre mit Barbara Linz die Polizisten nichts an.
»Nein, leider nicht.«
Und ohne sich vollkommen im Klaren darüber zu sein, warum sie dies eigentlich tat, löschte sie Franks Kurzmitteilung. »War nur Torben.«
Hausmann nickte stumm. Die Hand an der Türklinke, fragte sie unvermittelt:
»Den Herrn Landsberg, wie lange kennen Sie den eigentlich schon?«
»Seit Ewigkeiten. Schon mein halbes Leben, wenn Sie’s genau wissen wollen. Weshalb fragen Sie?«
»Nur so, nichts Bestimmtes«, sagte sie, verließ die Küche und lief zu ihrem Wagen.
Lara eilte ihr hinterher.
»Frau Hausmann!«
Die Kommissarin blieb stehen.
»Ja?«
»Die Karte, die haben Sie doch vergessen.« Lara streckte sie ihr entgegen.
»Ach ja, danke.«
Sie nahm die Karte an sich.
Misstrauisch schaute Lara ihr nach, bis Sylvia Hausmann in ihren rostbraunen Passat stieg.
Sie mag eine gute Kriminalistin sein, aber sie ist eine verdammt schlechte Lügnerin.
***
Die Haustür des Fachwerkhauses stand einen Spaltbreit offen. Magnus Kern nahm seine Sonnenbrille ab, steckte sie in die Brusttasche seines Jacketts und schob die Tür mit der Fußspitze auf.
»Herr Linz?«
Er erhielt keine Antwort. Mit einem prüfenden Griff an die Waffe unter seinem Jackett trat er vorsichtig über die Türschwelle. Das Pfeifen eines Wasserkessels drang über den Flur.
Kern bewegte sich auf die Küche zu und hatte Mühe, den herumliegenden leeren Bierflaschen auszuweichen. Er spähte in die Küche und sah einen vor sich hin brodelnden Kessel. Kern drehte die Herdplatte ab, auf der das Wasser kochte, und noch während der Pfeifton erstarb, blickte er sich in der Küche um.
Der Boden klebte unter seinen Turnschuhen. In den offenstehenden Schubladen Besteck, Reißzwecken, Notizblöcke, Bleistifte. In der Ecke ein blau angestrichenes Holzregal mit angestoßenem Tafelservice, Spitzentischdecken und Kochbüchern. Aber nirgendwo Familienfotos. Keine Blumen auf dem Tisch, stattdessen nur stapelweise dreckiges Geschirr. Obwohl Barbara Linz noch keine vierundzwanzig Stunden tot war, erweckte dieses Haus den Anschein, als sei schon seit Ewigkeiten nicht mehr geputzt worden.
Möglicherweise war sie aber auch perfekt darin gewesen, den Haushalt anderer Leute zu schmeißen, und hatte es mit der Sauberkeit in den eignen vier Wänden dabei nicht sonderlich genau genommen.
Ähnlich wie bei Sadisten, die ihren Mitmenschen die denkbar abartigsten Dinge antun, selbst aber empfindlich sind wie ein rohes Ei, grübelte Kern, als er den Metzgerhaken betrachtete, der direkt über ihm von der Decke hing.
Er trat in den Flur. Aus alten Pokalen, die ihren Glanz lange schon verloren hatten, quollen unzählige Zigarettenstummel. Die Wände zierten Auszeichnungen der Freiwilligen Feuerwehr Lohme und verstaubte Ölgemälde, die Szenen einer Fuchsjagd oder aus der Seefahrt zeigten. Wie Kern feststellte, waren die Türen der umliegenden Zimmer verschlossen. Alle, bis auf die letzte, die anscheinend nur angelehnt war.
Kern ging darauf zu, legte die Hand an die Pistole und stellte sich mit dem Rücken zur Wand neben die Tür.
»Herr Linz, sind Sie da drin?«
Stille . Kern spannte den Hahn seiner Waffe und zählte innerlich bis drei, dann stieß er die Tür auf.
Seine Augen wanderten durch das Halbdunkel des Raums. Der muffige Gestank von verschüttetem Bier, einem
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