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Stirb

Stirb

Titel: Stirb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Winter
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bloß dort liegenlassen können! »Und, schon irgendwelche Pläne für die großen Ferien?«, lenkte Andreas ab und steckte sich schnell eine Zigarette zwischen die Lippen. Isabelle schüttelte den Kopf.
    »Nichts Besonderes. Freundinnen von mir sind runter nach Spanien gefahren, aber bei meinem Referendargehalt kann ich da leider nicht mithalten. Ich schwing mich aufs Rad und fahre ein paar Tage an die Mecklenburgische Seenplatte.«
    Wortlos nickte Andreas. Demnach würde sie also niemand vermissen …
    »Und du, was hast du jetzt nach dem Abi so vor?«, gab sie die Frage zurück.
    Andreas zuckte die Achseln.
    »Keine Ahnung, erst mal irgendwie klarkommen, schätze ich.« Er zündete die Zigarette an und ließ das Feuerzeug wieder in seiner Hosentasche verschwinden. »Hauptsache, erst mal abhauen, ganz egal wohin, bloß weg hier.«
    »Hört sich geheimnisvoll an, so als hättest du was zu verbergen.« Sie ließ die Feststellung wie eine Frage klingen.
    »Hat nicht jeder von uns was zu verbergen?«, entgegnete Andreas mit der Zigarette im Mundwinkel.
    Er bekam ein verunsichertes Lächeln und ein knappes »Ja, kann schon sein« zur Antwort, und Andreas bemerkte, wie Isabelle nervös ihre Hände zu kneten begann. Er blies den Rauch aus dem halb geöffneten Fenster und fragte: »Willst du darüber reden? Man sagt mir nach, ich sei ein guter Zuhörer.«
    Isabelle dachte nach.
    »Du zuerst«, grinste sie dann.
    »Vergiss es!«, lachte Andreas.
    Im nächsten Moment schob Isabelle ihre Hüfte vor und kramte ein Zweimarkstück aus ihrer Hosentasche.
    »Kopf oder Zahl?«
    Er betrachtete die Münze.
    »Kopf.«
    Sie warf das Geldstück in die Luft und fing es mit ihrem Handrücken wieder auf.
    »Zahl«, lächelte sie mit einem zufriedenen Blick auf das Zweimarkstück. »Also, du fängst an.«
    Andreas sank im Sitz zurück und holte tief Luft.
    »Tja, wo soll ich da anfangen …« Er schnippte die Zigarettenasche aus dem Fenster und starrte eine Weile nachdenklich in den Wald, der sich zusehends verdunkelte. »Alles fing mit einem Päckchen an, das ich für meinen Vater entgegengenommen hatte«, begann er schließlich. »Als ich die kitschige pinkfarbene Lackschleife mit dem Adressaufkleber eines Dessous-Ladens sah, war mir sofort klar, dass dieses verdammte Päckchen keinesfalls für meine Mutter bestimmt war. Denn so viel«, er atmete den Rauch der Zigarette tief ein, »hatte ich damals mit meinen acht Jahren bereits kapiert: Die Ehe meiner Eltern war schon lange am Ende. Und ehrlich gesagt machte ich mir auch keine großen Hoffnungen, dass sich das noch jemals ändern würde.«
    »Das tut mir leid«, murmelte Isabelle.
    Andreas zog nervös an seiner Zigarette, ehe er weitererzählte.
    »Mein Vater war ein hohes Tier bei ’ner größeren deutschen Bank. Irgendwann kam er dann immer später nach Hause …« Er schnalzte mit der Zunge. »Und dann kam dieses Päckchen zu uns nach Hause. Es ließ mir keine Ruhe – ich musste einfach wissen, was da drin war. Und als meine werte Frau Mama am darauffolgenden Nachmittag bei Bekannten zum Tee war, habe ich mich im Bibliothekszimmer meines Vaters ein wenig umgesehen. Das Zimmer war, seit ich denken konnte, tabu für mich, und gerade deshalb war mir klar, dass ich das Päckchen – wenn überhaupt – nur dort finden würde. Außerdem wusste ich, wo mein Vater den Schlüssel zu seinem Schreibtisch aufbewahrte.« Mit einem verächtlichen Lacher drückte Andreas seine heruntergebrannte Zigarette im Aschenbecher aus. »Scheiße, ich kam mir vor wie ein verdammter Einbrecher. In der untersten Schublade bin ich dann tatsächlich fündig geworden. Ich habe noch überlegt, wie ich es am geschicktesten auspacken sollte, ohne das Papier zu zerreißen, als ich plötzlich jemanden zur Wohnungstür reinkommen hörte … Ich wäre fast gestorben vor Angst, meine Eltern waren nämlich ganz und gar nicht zimperlich, wenn es um Bestrafungen ging. Also habe ich das Päckchen ruck, zuck zurück in die Schublade geworfen. Insgeheim hatte ich trotzdem gehofft, das an der Tür wäre nur Rosita, mein Kindermädchen. Und irgendwie dachte ich wohl, sie hätte sich vielleicht im Wochentag geirrt oder mal wieder ihren freien Tag verwechselt. Aber es war nicht Rosita.« Andreas senkte den Blick auf seine im Schoß gefalteten Hände und sah wieder auf. »Es war mein Vater. Ich hörte, wie er lachte, und ich hatte ihn schon seit Ewigkeiten nicht mehr lachen gehört. Aber dann war da noch eine zweite Stimme,

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