Stirb
wissend, dass die Referendarin hier oben auf dem Plateau, umgeben von Wald, niemand hören würde, ganz gleich, wie laut sie auch schrie.
Und während sich in den nachfolgenden Minuten jener immer gleiche Film vor Andreas’ Augen abspielte und er tat, was er tun musste, spritzte ihm das Blut nur so ins Gesicht. Und als er Momente später mit ansah, wie Isabelle, die Finger verzweifelt auf die offene Halsschlagader gedrückt, mit dem Tod rang, wurde ihm einmal mehr bewusst, dass er immer weiter töten würde. Und die Jagdsaison hatte gerade erst begonnen.
***
Rügen. Am frühen Abend des 25. Mai …
Um kurz nach fünf saß Lara mit einer Zigarette in der Hand vor dem Fernseher und verfolgte gebannt die Nachrichten. Sylvia Hausmann hatte sie kurz zuvor darüber informiert, dass der Mörder von Barbara Linz gefasst worden war, dennoch war die überraschende Aufklärung der Tat für Lara aus heiterem Himmel gekommen. Sie stellte den Fernseher lauter.
»Hier ist Wenka Blomberg vom Kanal Neun. Wir berichten heute live aus Bergen, wo der Ehemann von Barbara Linz im Verhör durch einen Berliner Kriminalbeamten ein Geständnis abgelegt hat und nun dem Haftrichter vorgeführt werden soll«, sprach ausgerechnet jene Reporterin, der Lara ihren unfreiwilligen Fernsehauftritt nach dem Derby zu verdanken hatte, mit leuchtend roten Lippen in die Kamera. »Die Bewohner Rügens sind in hellerAufregung, denn nie zuvor hat es hier ein solch grauenhaftes Verbrechen gegeben. Der Angeklagte muss jeden Augenblick vor dem Gerichtsgebäude eintreffen.« Dann schwenkte die Kamera auf den Polizeichef von Rügen, der soeben vorgefahren war und in diesem Moment aus seinem Opel Astra stieg.
»Herr Petzold, es gibt Gerüchte, dass sowohl der Tathergang als auch die Tatwaffe auf einen berüchtigten Berliner Serienmörder hindeuten, der bereits mehr als ein Dutzend Frauen bestialisch ermordet hat. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass der Angeklagte Harald Linz auch mit diesen Morden in Verbindung steht?«, fragte Blomberg und streckte ihm das Mikrofon entgegen.
Petzold richtete seinen Blick in die Kamera und straffte sich.
»Das halte ich für ausgemachten Schwachsinn. Ich kann Ihnen dazu sagen, dass die Obduktion von Barbara Linz ergeben hat, dass es sich bei der Tatwaffe um ein handelsübliches Jagdmesser handelt und die Messerklinge in keiner Weise mit der Klinge des –«
» SIND SIE WAHNSINNIG, HIER DEN STAND UNSERER LAUFENDEN ERMITTLUNGEN AUSZUPLAUDERN ?« Urplötzlich war Magnus Kern in der Menge aufgetaucht, um Petzold aus dem Bild zu zerren.
»Sie würden wohl noch Ihre eigene Großmutter verkaufen, um ins Fernsehen zu kommen, was?«
Jetzt war auch Sylvia Hausmann zur Stelle, die sich der Reporterin zuwandte.
»Sobald es etwas Neues gibt, werden Sie das früh genug erfahren – und jetzt lassen Sie uns bitte durch!«
Im nächsten Moment sah Lara, wie Harald Linz in Handschellen von zwei Beamten aus einem Streifenwagen zum Gerichtsgebäude geleitet wurde. Die Polizisten hatten alle Mühe, ihn von der aufgebrachten Meute an Reportern und Schaulustigen, die ihn binnen Sekunden wie Schmeißfliegen umkreisten, abzuschotten. Darunter auch Freerk Gruber, der sich durch die Menge nach vorne drängte.
» MÖRDER !«, brüllte er und spuckte Linz vor laufender Kamera ins Gesicht. »In der Hölle sollst du schmoren! Hattest so eine wie die Barbara doch gar nicht verdient!«
Harald Linz blieb eine Sekunde lang stehen.
»Aber du, ja? Oder glaubst du, ich weiß nix davon, dass sie für dich die Beine breit gemacht hat!«
Lara sah, wie er von den Sicherheitsbeamten in die Tür des roten Backsteingebäudes gezerrt wurde. Obwohl sie Harald Linz nie sonderlich gemocht hatte, hätte sie es im Traum nicht für möglich gehalten, dass er zu solch einer Tat fähig sein würde.
Und einmal mehr wurde ihr bewusst, wie leicht man sich in einem Menschen täuschen konnte. Gleichwohl war eine tonnenschwere Last von ihr abgefallen, da die Tat aufgeklärt worden war, ohne dass sich ihre schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet hatten.
Lara schaltete den Fernseher ab und gab dem beharrlichen Klingeln des Telefons im Flur nach.
»Burlacher Hof, Wöhler am Apparat.«
Am anderen Ende der Leitung meldete sich niemand.
»Hallo? Wer ist denn da?«
Wieder kam keine Antwort, doch ein leises Schnaufen verriet, dass jemand in der Leitung war. Als der Anrufer sich Augenblicke später immer noch nicht zu erkennen gab, ließ Lara das Telefon irritiert
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