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Stoer die feinen Leute nicht

Titel: Stoer die feinen Leute nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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um den Hals fallen? Was tat man in solchen Situationen?
    Er schien es noch viel weniger zu wissen.
    So fragte sie erst einmal: „Warum hast…“ Das Du wollte ihr nicht über die Lippen, und sie formulierte ihren Satz anders: „Warum waren denn meine Großeltern so dagegen?“
    „Hier…“ Stöhnend zog Kossack eine Reihe von vergilbten, ziemlich zerknitterten und an den Kanten eingerissenen Bescheinigungen aus der Tasche. „Bitte…“
    DIN-A 5-Formulare mit rundgotischen Schriftzeichen, noch im Dritten Reich gedruckt. Bescheinigungen über Entlassungen aus diversen Haftanstalten: Oslebshausen, Fuhlsbüttel, Tegel… Der letzte Schein war am 15. Mai 1948 datiert.
    Jetzt verstand sie alles. „Und das, wo Großvater ein preußischer Oberstaatsanwalt war, so richtig vom alten Schrot und Korn…“
    „… und deine Großmutter nur zwei Arten von Menschen kannte: Akademiker und Untermenschen!“
    Sie hatte Mitleid mit ihm und sagte schnell: „Ja, die Nachkriegsjahre…“
    Er nahm es dankbar auf. „Ich hatte nichts gelernt; gleich von der Schulbank weg eingezogen…“
    Sie nahm kaum auf, was er sagte; sie schaute ihn nur an und suchte in seinem Gesicht nach Zügen, die sich auch in ihrem fanden. Die Lippen vielleicht, die Stirn… Aber sie kam ja stark nach ihrer Großmutter. Das dunkle Haar wohl. Und auch die zarte, getönte Haut…
    „… einundzwanzig, als ich aus amerikanischer Gefangenschaft entlassen wurde, Ende 45. Nichts gelernt, die Eltern bei einem der letzten Angriffe auf Bramme verschüttet und tot geborgen; nichts im Magen, kein Geld in der Tasche, kein Zuhause, keinen Beruf… Da ist es eben passiert – in Bremen, in Berlin und in Hamburg. Wir haben ein bißchen geschoben, ein paar Überfälle, ein halbes Dutzend Einbrüche; das kam schnell zusammen. Dein Großvater, der wußte das natürlich… Der hat ja in Bremen gearbeitet und die Akten auf den Tisch bekommen…“
    Katja nickte nur.
    „… im Sommer 48 hat dann der alte Buth ein Herz gehabt und hat mich als Hausdiener eingestellt. Von da ab hab ich mich hochgearbeitet.“
    Katja lächelte ihn an. „Es bleibt alles unter uns. Und außerdem ist Lankenau viel zu anständig, um daraus politisches Kapital zu schlagen.“
    Kossack stand auf. „Es wird schon alles gut werden. Meine Frau weiß alles, sie erwartet dich zum Essen…“
    „Hab ich eigentlich auch… Geschwister? Einen Halbbruder oder so?“
    „Nein, leider… Aber deswegen freut sie sich um so mehr auf dich.“
    Katja wehrte sich zwar dagegen, aber als Kossack nun sanft den Arm um ihre Schulter legte, hatte sie doch Tränen in den Augen. Warum auch nicht? Jetzt war alles überstanden; ein neues Kapitel begann.

 
    12
     
     
     
    Im Sommerhalbjahr trainierten die Leichtathleten des TSV Bramme jeden Freitagabend von sechs bis neun im Stadion unten am Fluß. Allerdings hatte ihr eifriges Üben bislang kaum Früchte getragen, denn seit Bestehen des Vereins war es noch keinem Athleten gelungen, sich in den Bestenlisten des DLV zu verewigen. Ziel der meisten Läufer, Sprinter und Techniker war es, bei den Kreismeisterschaften in Endlauf oder Endkampf vorzustoßen und im Brammer Tageblatt in unmittelbarer Nähe von Uwe Beyer oder Harald Norpoth namentlich erwähnt zu werden. Zur Hälfte allerdings bestand die Leichtathletikabteilung aus »passiven Aktiven«, das heißt aus Erwachsenen, die nur mal so ein bißchen liefen und sprangen und nachher in der rechten Ecke des Platzes Fußball spielten.
    Als solche Trimm-dich-fit-Aktive hatten auch Günther Buth und Jens-Uwe Wätjen zu gelten, wobei Buth als Mäzen des TSV und Wätjen als sein 2. Vorsitzender eine besondere Stellung einnahmen.
    Auch heute wieder drehten sie in weinroten Trainingsanzügen ihre Runden, wichen Sprintern aus, blieben beim Hochsprung stehen, wo sich Heike und Antje, beide 18 und langbeinig, an 1,40 versuchten, schleuderten mal einen Speer zurück und mal einen Diskus, riefen diesem und jenem etwas Scherzhaftes zu und liefen hin und wieder zwanzig bis dreißig Meter in einem annehmbaren 14,0-Tempo.
    Wätjen stoppte und zeigte zur Eingangskurve: „Du, steht da nicht Trey am Gitter?“
    Buth kniff die Augen zusammen. „Stimmt. Er winkt sogar… Los, komm!“
    „Hoffentlich ist nichts.“
    „Ach wo.“
    Sie trabten los.
    Trey begrüßte sie mürrisch. Das lag nach seiner eigenen Aussage vor allem daran, daß er zu einer Veranstaltung des Bauernverbandes nach Oldenburg fahren mußte, über die letzten EWG-Tagungen

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