Stoerfall - Nachrichten eines Tages
konnte. Höchstbegabte sehr junge Männer, die sich – getrieben, fürchte ich, von der Hyperaktivität bestimmter Zentren ihres Gehirns – nicht dem Teufel verschrieben haben (ach, Bruder! Der gute alte Teufel! Gäbe es ihn noch!), sondern der Faszination durch ein technisches Problem. Erst allmählich, wie ich mir, der Beschreibung folgend, ein Bild von ihrem Leben habe machen können, ist mir aufgegangen, daß meine Phantasien, die ich mir vorhin verboten hatte, schon längst von der Wirklichkeit überholt worden waren: Dies waren ja Menschen auf einer Isolierstation, ohne Frauen, ohne Kinder, ohne Freunde, ohne andere Vergnügungen als ihre Arbeit, strengsten Sicherheits- und Geheimhaltungsvorschriften unterworfen; sie aber brauchten kein Ersatz-Leben durch elektrisch erzeugte Erinnerung. Wie naiv ich immer noch war! Alles, was sie offenbar brauchten, war eine Pseudo-Bindung, die ihr Gefühlsleben absorbierte. Aber bittesehr, kein Problem, no problem. Wozu gibt es Computer. Wenn sie dort ankommen, in ihrem Sternenkriegslaboratorium Livermore(ich versage mir den Ausdruck »eingeliefert werden«), dann ist es wahrscheinlich schon um sie geschehen. Sie kennen, habe ich gelesen, nicht Vater noch Mutter. Nicht Bruder noch Schwester. Nicht Frau noch Kind (es gibt dort keine Frauen, Bruderherz! Ist diese beklemmende Tatsache Grund für die Computerliebe der jungen Leute? Oder ihre Folge?). Was sie kennen, diese halben Kinder mit den hochtrainierten Gehirnen, mit ihrer ruhelosen, Tag und Nacht fieberhaft arbeitenden linken Gehirnhälfte – was sie kennen, ist ihre Maschine. Ihr lieber geliebter Computer. An den sie gebunden, gefesselt sind, wie nur je ein Sklave an seine Galeere. Ernährung: Erdnußbutterbrote. Hamburger mit Tomatenketchup. Cola aus dem Kühlschrank. Was sie kennen, ist das Ziel, den atomgetriebenen Röntgenlaser zu konstruieren, das Kernstück jener Phantasie von einem total sicheren Amerika durch die Verlegung künftiger Atomwaffenschlachten in den Weltraum. – (Was sind sie: legitime Nachfahren des von »der Wahrheit« besessenen Wissenschaftlers, ein Mythos, der uns allen vertraut ist? Oder seine illegitimen Abkömmlinge, die sich zu Unrecht auf ihn berufen? Soll denn Besessenheit ein Makel sein? Das »gewöhnliche Leben« ein Wert an sich?) Das Signal in mir ist lauter geworden, ich habe das Heft sinken lassen müssen. Woher kam mir das Gefühl, daß ich das kenne, wovon hier die Rede war? Starwarriors.
Star wars. Krieg der Sterne ... Natürlich! Einmal, vor beinahe genau drei Jahren, haben wir in einemüberfüllten Kinosaal gesessen, wenige Meilen entfernt von jenem Livermore National Laboratory, an der Westküste der USA, in Berkeley, Kalifornien, und haben, zuerst mit verlegenem Staunen, dann mit wachsender Beklemmung, den zweiten Teil der »Star Wars«-Filmproduktion gesehen, dessen Titel mir gleich einfallen würde, ich mußte nur nicht zu scharf daran denken. Ich mußte nur zuerst an die junge schwarze Frau denken, die genau hinter mir saß und, wie der ganze Saal, fanatisch Anteil nahm an den Weltraumschlachten der guten, weißen Sternenkrieger gegen die bösen, schwarzen. Ich habe es immer noch hören können, wie sie, die junge Schwarze, an einem Höhepunkt der Handlung mit schriller Stimme schrie: Kill him! Kill him!, und mir ist eingefallen: Die Waffen, die da benutzt wurden, waren allerdings Strahlenwaffen, und ich habe mir vorgestellt, daß der Regisseur dieser beiden Filme, der natürlich unglaublich reich daran geworden ist (»The Return of the Jedi«, ja, so hatte unser Film geheißen), sich mit den Starwarriors in Livermore beraten hatte; oder diese mit den Filmleuten. Und alle zusammen mit den Politikern ... Und ich habe begriffen: Nicht das Phantom »Sicherheit« – nein: der Sog des Todes ist es, die Machbarkeit des Nichts, die einige der besten Gehirne Amerikas da zusammentreibt.
Der Faust jenes Berichts, zu dem ich, wie unter Zwang, wieder zurückgekehrt bin, hieß also Peter Hagelstein, nicht Frankenstein. Das Gretchen: Josie– Josephine Stein. Peter ist Läufer, Schwimmer, spielt Klavier und Flöte, liebt die französische Literatur, leidet an Schlaflosigkeit und Depressionen und kommt mit dem Alltag nicht zurecht. Er arbeitet vierzehn, fünfzehn Stunden am Tag, »sieben Tage die Woche«. Sein Ziel, sich mit der Erfindung eines Röntgenlasers für wissenschaftliche Zwecke den Nobelpreis zu holen, wird in Livermore umgelenkt. Bomben sind Hagelstein-Faust eigentlich
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