Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
Vom Netzwerk:
schlechthin störend.
»Grünspan!« rief Penser. Er breitete die Arme aus, ergriff beidhändig dessen Rechte und schüttelte sie ausgelassen. »Was für ein schöner Zufall. Egal, wo Sie wohnen wollten, ziehen Sie um. Meine Herberge liegt idyllisch. Schöner kann man es nicht haben.«
»Sie verzeihen«, bemerkte Grünspan, nachdem er ihr Wiedersehen kurz gewürdigt hatte, »mir sind einige therapeutische Verpflichtungen auferlegt, die mich an das Kurhotel Ypariadne binden.«
»Vortrefflich«, rief Penser und winkte einem Gepäckrobot, »genau da hause seit zwei Wochen ich!« Sein Schritt wies die Richtung, und wohl oder übel mußte Grünspan sich an seiner Seite halten.
»Übrigens«, klärte Penser ihn auf, »wird die medizinische Betreuung Sie kaum belästigen. Man vertraut Ihrer Vernunft und dem heilsamen Klima. Der größte Teil der Zeit steht Ihnen zur Verfügung. Ich habe mich bereits ausgezeichnet erholt. Natürlich erraten Sie, daß mein Aufenthalt hier noch andere Zwecke verfolgt. Hergekommen war ich in dem Glauben, die Welt vorzufinden, die ich so lange suchte. Ich war keine zwei Tage hier, da kamen mir bereits Zweifel.«
»Das klingt so«, erwiderte Grünspan, »als freute Sie das.«
Penser sah sich um. »Ich bin«, seine Stimme senkte sich, »hochinteressanten Phänomenen auf der Spur.«
Es war zu spät zur Flucht, viel zu spät. Irrte er im Strom der Entgegenkommenden zur Seite ab, ergriff Penser fürsorglich seinen Arm. Stockte sein Schritt, so verhielt Penser den seinen.
»Kommen Sie«, forderte er ihn auf, »reißen Sie den Blick los von der Idylle. Sie ist nur scheinbar.«
Was meinte Penser? Verstohlen spähte Grünspan an dessen Profil vorbei. Sein Blick erhaschte zufriedene Gesichter. Sonnenglanz verklärte alle Mienen. In dieser Übereinstimmung glichen die Gesichter einander, und er kam sich vor wie ein Europäer in Asien. Selbst die bunte und vielfältig erscheinende Kleidung, deren Eigenart er erst jetzt bemerkte, erschwerte die Identifizierung. Ein jeder trug eine Art von geschlossenem Regenumhang.
Penser mußte seinen Blick bemerkt haben, denn er sagte: »Bemühen Sie sich nicht. Sie werden keine Regenwolken entdecken. Die Prospekte lügen nicht. Hier herrscht wirklich ewiger Sonnenschein. Wenigstens am Tag. In der Nacht«, er lächelte düster, »besser also, während der Schlafperiode, läßt man hin und wieder Regen fallen. Genau dosiert.«
»Gewaltig«, bemerkte Grünspan, »welch eine Beherrschung der Natur.«
»Ursprünglich«, führte Penser weiter aus, »diente die Wetterregulierung der Landwirtschaft. Seit geraumer Zeit wird ausschließlich synthetisch produziert. Die Wetterregulierung stellt also ein Relikt dar.«
»Sie wollen doch nicht etwa einer Wiedereinführung des ungeregelten Wetters des Wort reden!«
Penser ließ unerschütterlich seinen Blick auf ihm ruhen. »Wieso nehmen Sie das an?«
»Unsere Bekanntschaft ist kurz«, formulierte Grünspan. »Ich kann ihr nicht viel mehr entnehmen, als daß Sie ein Mensch sind, der stets das Gegenteil dessen tut, was ich beabsichtigen würde.«
»Mit anderen Worten, Sie würden alles so lassen, wie es ist?«
»Überlegen Sie«, sagte Grünspan etwas gereizt, »ob Ihre Frage nicht vielleicht eine Ungeheuerlichkeit in sich birgt! Gibt es denn einen vernünftigen Grund, den Status quo zu verändern? Die Isobaner haben sich an den Zustand gewöhnt. Es ist ein guter Zustand, voller Harmonie und Friedfertigkeit. Nicht nur Geographien prägen bekanntlich Wesenheiten, Charaktere. Das Wetter unter anderem, klimatische Einflüsse!« Sein Blick umfaßte das Panorama. »Welch eine glückliche Welt!«
»Und die Regenumhänge?«
Grünspan erstaunte die Hartnäckigkeit, mit der Penser an der Banalität festhielt. Sein Arm beschrieb eine großzügige Geste. »Mode! Eine isobanische Eigenheit! Lieber Freund, wir sollten unsere Gedanken Wichtigerem widmen.«
»Wichtigerem?« rief Penser. »Hätten Sie Wichtigeres vor zutragen?«
Am Abend sank Grünspan erschöpft ins Bett. Nicht die Eindrücke überwältigten ihn derart, nicht die Reise an sich, auch nicht das ungewohnte Essen, dem er irdische Küche vorgezogen hätte, nicht die auf einzigartige Weise zu Kopfe steigenden Getränke. Es war vielmehr die Gegenwart Pensers.
Auf der Erde und noch zu Beginn ihrer Begegnung hier war er bereit gewesen, ihn für einen Sonderling zu halten, einen kauzigen Apostel der Gerechtigkeit und so unnötig wie ein solcher, dessen wahrer Name Raphael Hythlodeus lauten

Weitere Kostenlose Bücher