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Stoff für viele Leichen

Stoff für viele Leichen

Titel: Stoff für viele Leichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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und rauchte.
    Seit neunzig Minuten saßen Hélène und Reboul,
mein einarmiger Angestellter, der trotzdem gut zupacken konnte, in einer
verschwiegenen Ecke des Bistros in der Rue Beauregard und spielten das
Bilderbuch-Liebespaar. Ich hatte ihnen eine genaue Beschreibung von René
Lévyberg gegeben, dazu drei Empfehlungen: nicht Mystère-Magazine lesen,
keine Coca-Cola trinken und, falls sie Spaß daran hätten, einen falschen
Schnurrbart oder künstliche Busen tragen, aber keine Brille. Außerdem hatte ich
ihnen Verhaltensmaßregeln gegenüber Lévyberg gegeben. Wenn ich mich schon
einmischte, dann mußte ich auch wissen, worum’s ging.
    Das Telefon auf meinem Schreibtisch klingelte.
Ich nahm ab.
    „Hier Reboul.“
    „Lévyberg?“
    „Kein Lévyberg. Dafür eine Art Polyp. Hat sich
sehr dafür interessiert, was die Leute hier trinken und lesen. Ist grade
abgehauen.“
    „Ein Polyp?“
    „Wenn das keiner war, dann hat er das verdammt
gut gespielt. Ist mir sofort aufgefallen, schon als er reinkam. Regenmantel.
Schlapphut, unauffälliger Rundblick... Na ja, das wandelnde Klischee!“
    „Einer von unseren Bekannten?“
    „Jedenfalls keiner von meinen.“
    „Um so besser, einerseits. Weiter.“
    „Hat sich hingesetzt und alle flüchtig
beobachtet, vor allem ab neun Uhr die reinkommenden Brillenträger. Zwei. Zum
Glück las keiner Mystère-Magazine. Vor fünf Minuten merkte er, daß er
umsonst hier rumsaß. Er holte sich an der Theke eine Telefonmarke und ging
runter zum Telefonieren. Ich hinterher. Hab mich in die Nähe der Telefonzelle
gestellt. Konnte alles hören, ohne daß er mich sah. Die Nummer, die er wählte,
war wohl zentral
    Er gab mir zwei Zahlenkombinationen. Ziemlich
ähnliche. Ich notierte beide.
    „...Können Sie was damit anfangen?“
    „Nein.“
    „Gut. Er hat also seine Verbindung und sagt,
ohne sich zu melden oder sonstwas: ,Keiner da. Was
soll ich machen?’ Der andere spricht, dann er wieder: ,Nichts .’
Er hört wieder zu, dann er: ,Gut , ich komme.’ Das ist
alles. Er ging wieder hoch. Ich wartete ‘ne Weile, aus Vorsicht. Als ich wieder
zurückkam, war er schon weg. Na ja... äh... das Beste war gewesen, ihm
hinterherzugehen, aber schließlich haben wir eine Telefonnummer, nicht wahr?
... Besser als nichts, oder?“
    „Besser als nichts, stimmt. Wie sieht der Mann
aus?“
    „Im großen und ganzen wie ein Polyp, vielleicht
pensioniert — alt genug dafür scheint er zu sein — , der auf Privatdetektiv macht. Richtige Inspektoren treten im Dienst immer zu
zweit auf, nicht wahr? Im einzelnen: ziemlich groß, etwas gebeugt, das Gesicht
schlaff und faltig wie einer, der abgenommen hat. Der hier war aber wohl schon
immer mager. Graumelierter Schnurrbart, wie ‘ne Zahnbürste. Ebensolche Augen.
Die Farbe, mein ich. Davon abgesehen: Durchschnittsstirn, Durchschnittsnase,
Durchschnittskinn. Nichts Hervorstechendes, nichts Bemerkenswertes. Graue
Gesichtsfarbe.“
    Ich kramte in den Tiefen meiner Erinnerung, ob
sich ein früherer Bekannter auf diese Beschreibung hin meldete. Es meldete sich
niemand.
    „Ich nicht kennen“, sagte ich.
    „Und jetzt“, schloß Reboul, „frage ich genauso
wie der Polyp: Was soll ich machen?“
    „Hélène und Sie können schlafengehen. Getrennt.“
    Ich legte auf.
    Zentral... Glück gehabt, es war nicht die Nummer
von Lévyberg. Sonst hätten wir uns im Kreis gedreht.
    Ich setzte großes Vertrauen in die Fähigkeiten
meines Angestellten, seine Ohren zu gebrauchen. Wäre nicht das erste Mal, daß
er sie erfolgreich eingesetzt hätte. Im Krieg hatte er außer seinem Arm beinahe
noch sein Augenlicht verloren. Acht Monate in völliger Dunkelheit hatten ihm
die Ohren enorm gespitzt.
    Ich rief Lefebvre an, ein ziemlich hohes Tier
bei der Post, dem ich mal zufällig einen Gefallen getan hatte.
    „Hallo! Paris-Zentral... so und so. Ich hätte
gerne die entsprechenden Adressen dieser Telefonteilnehmer“, sagte ich.
„Eilig?“
    „Wie alles, was ein Detektiv wissen will.“
    „Werd sehen, was ich tun kann. Soll ich
zurückrufen?“
    „Bitte. Ich bleib in meinem Büro.“
    „Sie arbeiten noch so spät?“
    „Ja.“
    Als er zurückrief, zitterte seine Stimme, so
sehr mußte er lachen.
    „Kleiner Witzbold, hm?“ begann er.
    „Wie kommen Sie darauf?“
    „Och! Nur so... Hier die Informationen... Erste
Nummer: Madame Charbonnel, Witwe, Rentnerin, Boulevard Bonne-Nouvelle. Glaub
kaum, daß Sie das interessiert. Jedenfalls ist die andere Nummer

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