Stoff für viele Leichen
Dachluke mit zerbrochenen Scheiben etwas Tageslicht fiel.
Zuviel Arbeit wäre nötig gewesen, um diesen Raum bewohnbar zu machen. In einer
Ecke stapelten sich die Sandsäcke für den zivilen Luftschutz, bereit für den
nächsten Einsatz. Auf ihnen lag friedlicher Staub. Nichts Beunruhigendes. Ich
ging wieder zu der Tür meiner heimlichen Sehnsüchte zurück und klopfte ein
paarmal kurz, wie bei einer Verschwörung. Als Antwort darauf sah ich Marion im
Gegenlicht, in einem durchsichtigen Negligé. Sehr aufreizend.
Sie würzte ihre Begrüßungsworte mit dem üblichen
,Schätzchen’, was Hélène immer so sehr ärgerte. Ich folgte Marion in das kleine
Nest, das sie mir schon angepriesen hatte. Hübsch und kuschelig. Früher waren
das zwei Dienstmädchenzimmer gewesen. Jetzt hatte man die Zwischenwand rausgehauen,
so daß es ein einziger Raum war, immer noch recht klein, aber bewohnbar. Das
Parfüm, das in der Luft hing, erinnerte nur sehr entfernt an die braven Mädchen
vom Lande, die damals hier geschnarcht hatten. Allerdings haben die sich
seitdem auch ganz schön verändert.
Die Hälfte des Fußbodens war von einem billigen,
aber nicht geschmacklosen Teppich bedeckt. Von der Wand grinsten Boxer und
Filmstars, mit Heftzwecken befestigt. Das Mobiliar war ziemlich dürftig. Drei
Stühle, ein Sessel, ein kleiner, niedriger Tisch. Der Schallplattenapparat
stand auf dem Fußboden, neben dem Bett. Das allerdings war riesig.
In der Dachrinne zankten sich Spatzen und
kreischten wie verrückt. Manchmal flog einer am Dachfenster vorbei und
verdunkelte den Himmel von Paris.
Marion schaltete den Plattenapparat wieder ein.
Ich wickelte die Flasche Aperitif aus dem Seidenpapier. Das Ereignis mußte
begossen werden. Während ich meine Jacke auszog, öffnete Marion die Flasche.
Sie rauschte durch den Raum und machte mit ihrem Gezwitscher den Spatzen
Konkurrenz. In einer kleinen Küche, nicht größer als ein Besenschrank, spülte
sie zwei Gläser, in die viel hineinging. Dann setzte sie sich neben mich, und
wir fingen an, einen zu heben.
„Gut“, sagte ich nach einer Weile.
Bis jetzt hatte ich meine Rolle als seriöser
Kunde tadellos gespielt, so mit Geld rausrücken und allem drum und dran,
korrekt wie ein ungehobelter Bauernlümmel. Jetzt ging ich so langsam zu
ernsthafteren Dingen über.
„...Ist doch besser so, als diesen Gaunern Geld
in den Rachen zu werfen, diesen Puffmuttern und dem ganzen Gesindel, oder?“
„Aber ja, Schätzchen“, stimmte Marion zu.
„Was sind das eigentlich für Kerle?“
„Welche Kerle?“
„Die Chevaliers
de la Lune. Die Inhaber, wenn dir das besser gefällt.“
„M’ame Joseph. Hast du noch nie von M’ame Joseph
gehört?“
Sie stand auf und füllte unsere Gläser. Ich nahm
das Glas, das sie mir reichte, und trank.
„M’ame Joseph?“ frage ich. „Nein. Ist das der
Boß im Nylonslip?“
„Im Baumwollslip“, sagte Marion und lachte
nervös auf.
„Komm her, Schätzchen“, sagte ich.
Ich saß auf dem Bettvorleger, den Rücken gegen
die Bettpfosten, die Pfeife im Mund und das Glas in der Hand. Marion stand vor
mir. Ich stellte das Glas auf den Teppich und streckte ihr einen Arm entgegen.
Meine Hand berührte leicht ihr Bein. Mit einem seltsamen Lachen trat Marion
zurück. Verflixtes Luder! Sie bot ihren Kunden was fürs Geld! Verspielt wie
eine Katze. Aber, verdammt nochmal! Das war jetzt nicht der richtige
Augenblick. Ich stand auf.
Sehr weit weg, an meinen Füßen, kippte ein Glas
um und zerbrach. Das Zimmer wurde immer kleiner. Durch die Dachluke kam
plötzlich nur noch dünne Luft. Die Vögel machten einen ohrenbetäubenden Lärm.
„Was ist los?“ murmelte ich.
Ich stolperte nach vorn. Mein Blick
verschleierte sich, aber noch nicht völlig. Durch trübes Aquariumwasser sah ich
Marion. Sie stand in der anderen Ecke des Zimmers, schien an die Wand genagelt
zu sein. Ich tat noch zwei Schritte nach vorn. Noch zwei. Das Mädchen hatte die
Augen weit aufgerissen vor Angst. Noch zwei Schritte, die Arme nach vorn
gestreckt, wie ein Schlafwandler. Ich sah nichts mehr, ging nach Gefühl weiter,
klammerte mich an ihre Schultern. Dann sackte ich zusammen, meine kraftlosen
Finger glitten ihre nackte Haut hinunter, ich stürzte nach vorn, mein Gesicht
landete zwischen ihren Brüsten, zwei aufgerichteten Kugeln, warm und duftend.
Ihr Herz schlug wie verrückt. Der Duft verflog. Übrig blieb nur noch der
scharfe Schweißgeruch der Rothaarigen.
Von diesem Geruch alleine kippte
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