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Stoff für viele Leichen

Stoff für viele Leichen

Titel: Stoff für viele Leichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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ich aber nicht aus
den Latschen. Man hatte mir irgendeine Schweinerei in den Aperitif gekippt. Ich
merkte es zwar etwas später, aber immerhin merkte ich’s. Besser, als überhaupt
nichts zu merken.
     
    * * *
     
    Im Traum umkreisten mich Tausende von Katzen. Um
die bedrohlichen Tiere zu besänftigen, fing ich an, ihnen das Gedicht von
Baudelaire vorzutragen. Aber ich konnte mich nur noch an Versfetzen erinnern.
Plötzlich sprang mich eine Katze an und kratzte mich am Arm. Vielleicht, um
mich zum Schweigen zu bringen. Ich hatte Schmerzen, wurde in eine Stadt
gebracht, die ich nicht kannte... die Katzen immer hinter mir her. Ich
flüchtete vor ihnen, hatte ein bestimmtes Ziel. Ich suchte einen Mann namens
Baudelaire. Dabei kam ich in eine finstere schmale, stinkende Straße, in der
der Dichter wohnen mußte. Vor einem bestimmten Haus blieb ich stehen. Ich
wußte, daß er hier wohnte. An einem Eisengestänge hing ein Schild, das vom Wind
hin und her bewegt wurde und wie eine Wetterfahne quietschte... Ich sprang
hoch, entwischte den Katzen, ergriff mit beiden Händen das klagende Schild.
    Die Katzen waren verschwunden. Ich hörte noch
die Vögel. Sogar im Bauch der Katzen sangen sie weiter. Ich öffnete die Augen.
    Ich lag flach auf dem Bauch, das Gesicht auf dem
Teppich, die Arme nach vorne gestreckt. Als ich meinen Kopf drehte, sah ich
zuerst Glassplitter, eine kaputte Schallplatte und eine intakte
Injektionsspritze. Etwas weiter weg, neben dem umgekippten
Schallplattenapparat, lagen meine Kleider auf einem Haufen. Allem Anschein nach
war ich nackt wie ein Wurm. Meine Arme waren wie taub. Ich bewegte meine
Finger. Meine linke Hand umklammerte eine Brust von Marion, die andere ein
Stück Leder. Marion war ebenfalls fast nackt, aber weniger als das letzte Mal.
Über ihrem Strumpfhalter lag ein breiter Gürtel aus gelbem Leder um ihre
Taille, gespickt mit langen Stacheln. Als Schmuck trug sie, außer einer
Halskette, an Hand- und Fußgelenken Eisenfesseln, die durch Ketten verbunden
waren. Ich kannte diese Aufmachung. „Tantalus“, das Programm für Masochisten. Aus
dem Katalog einer Firma, die vor dem Krieg Reizwäsche und andere erotische
Artikel geführt hatte. So ausstaffiert, lag Marion auf dem Rücken, das Gesicht
durch ihr zerzaustes Haar verdeckt, die Beine in den Nylonstrümpfen unanständig
gespreizt. Wozu sollte das gut sein? Sie würde in Zukunft niemand mehr erregen.
Die Angestellten des Leichenschauhauses sind trotz ihres Berufes nicht
nekrophil. Immer noch hielt ich ihre kalte Brust in meiner linken Hand. Ich zog
meinen Arm zurück, was ein metallenes Geklapper hervorrief. Um mein Handgelenk
schloß sich ein Eisenring, der durch eine Kette mit einer von Marions
Handschellen verbunden war. Mein anderer Arm war frei. Es kostete mich jedoch
große Anstrengung, meine starren Finger von dem Stück Leder loszureißen, das
sie umklammerten. Es diente als Griff einer Stahlklinge, die ganz tief im
Herzen des unglücklichen Mädchens steckte.
    Die Spatzen in der Dachrinne schrien sich immer
noch heiser. Die lebhaften Spatzen von Paris, flink und aufdringlich, die an
den Mansardenfenstern der Midinettes um Brotkrumen betteln.
    Ich richtete mich auf, blieb eine Weile auf
meinen Knien hocken und rieb mir die Hände, wie um die Erinnerung an den
unwirklichen, aber wirksamen Dolch aus meiner rechten Handfläche zu vertreiben.
Bei jeder Bewegung stießen die Ketten aneinander und veranstalteten einen Lärm,
der mir durch und durch ging. Ich kniete vor dem eiskalten Körper des Mädchens
im „Tantalus“-Kostüm, als wollte ich beten. Beten ist nicht gerade meine
Stärke, aber vielleicht konnte ich im Augenblick nichts Besseres tun...
    Doch. Abhauen!
    Ich stellte mich auf meine zitternden Beine,
konnte mich aber nicht ganz aufrichten. Die Kette, die mich an die Leiche
fesselte, war zu kurz. Ich fiel wieder auf die Knie und versuchte, mich von
meinem Armband zu befreien. Denkste! Ich hatte zuviel Schiß, um was
Vernünftiges zustande zu bringen. Fühlte mich hundeelend und war schweißgebadet
von den Haarwurzeln bis zu den Füßen. Ich mußte dieses Zimmer verlassen! Egal
wie, egal womit! Mit Marion im Schlepptau ging ich zu meinen Kleidern und
untersuchte sie. Man hatte mir nichts geklaut, weder Geld noch Revolver,
nichts. So gut es ging, mehr schlecht als recht, zog ich meine Hose an, setzte
mir den Hut auf. Die restlichen Kleider klemmte ich mir als Paket unter den
Arm. Ich sah mich um. Was hatte ich mit meinen

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