Stoff für viele Leichen
Fingern alles angefaßt? Dann
ging ich im Zimmer umher, immer die tote Marion im Schlepptau, und wischte mit
meinem Taschentuch alles ab, worauf Fingerabdrücke von mir sein konnten.
Schließlich ging ich zur Tür, steckte noch schnell Tabaksbeutel und Pfeife ein,
die auf einem Stuhl lagen. Vor der Tür machte ich eine Verschnaufpause und
horchte. Kein Laut. Nichts Verdächtiges. Ich konnte versuchen, in der staubigen
Rumpelkammer Zuflucht zu suchen und so immerhin Zeit zu gewinnen. Meine Hand
drehte am Türknauf.
Ich erschauerte.
Der widerliche Schweiß von eben tropfte mir
wieder dick und klebrig den Rücken runter und kitzelte mich. Mir war aber gar
nicht zum Lachen zumute. Die Tür war abgeschlossen, der Schlüssel steckte aber
nicht im Schloß.
Mir wurde schwindlig. Wenn das so weiterging,
kippte ich gleich wieder um. Halb gebückt, lehnte ich mich gegen die Tür. Mein
linker Arm baumelte hin und her, wodurch die Kette, die mich mit Marion
verband, im Takt schepperte. Ich blickte hilflos um mich. Die Handtasche der
Toten! Da, zum Teufel. Ich ging wieder mit Marion spazieren.
Plötzlich zog sie an der Kette wie ein
störrischer Hund. Ich verlor das Gleichgewicht und fiel der Länge nach hin.
Einer der verdammten Stacheln in ihrem Gürtel hatte sich am Bettpfosten
verklemmt. Ich machte die Leiche wieder flott. Endlich hatte ich die
Handtasche. Viel Krimskrams, aber auch ein Schlüssel. Lieber Gott oder böser
Teufel, wer du auch bist, der du den Menschen Pech oder Glück bringst, mach,
daß das der richtige Schlüssel ist! Vielleicht wäre das aber gar nicht so
günstig. Der richtige Schlüssel in dieser Tasche bewies vielleicht, daß ich der
Mörder war, ohne es zu wissen! Aber erst mal konnte ich durch ihn abhauen. Ich
ging wieder zurück, besser gesagt, wir gingen wieder zurück, ich und meine
Sträflingskugel aus leblosem Fleisch. Beinahe hätte ich vor Freude geschrien,
so als wäre alles geregelt gewesen: Der Schlüssel paßte!
Gleich fühlte ich mich viel besser. Mit sicherer
Hand öffnete ich die Tür. Das Haus war ruhig. Aus den unteren Etagen drangen
die beruhigenden, friedlichen Geräusche häuslicher Betriebsamkeit herauf. Im
Hausflur keine Menschenseele. Aber auch wenn er voller Leute gewesen wäre, ich
glaube, ich wäre ohne Zögern hinausgestürzt, so eilig hatte ich es, aus diesem
verhängnisvollen Zimmer zu flüchten. Automatisch schloß ich die Tür hinter mir
ab und steckte den Schlüssel ein, zusammen mit dem Namensschild. Dann packte
ich Marions Leiche, so gut ich konnte, immer bedroht von den tödlichen Stacheln
ihres Gürtels. Halb trug ich sie, halb zog ich sie, stolpernd, keuchend, und
erreichte endlich ohne weiteren Ärger das rettende Ufer, die Rumpelkammer mit
den Sandsäcken. Ich hatte den Eindruck, daß ich eine Ewigkeit für die Strecke
brauchte. Erleichtert ließ ich mich auf den Staub fallen, direkt neben mein
trauriges Bündel. Ein jämmerliches Gefühl von Ekel überwältigte mich. Eine
unwiderstehliche Lust zu kotzen und zu heulen.
Fluchend überstand ich diesen depressiven
Anfall. Fast fühlte ich mich sicher in dem Loch voller Spinnen. Eine
trügerische Sicherheit. Es war keine Zeit zu verlieren. Gleich gab’s
Abendessen, und dann würde das Haus vor Menschen nur so wimmeln. Ich machte
einen neuen Anlauf, um mich von meiner Handfessel zu befreien. War aber nicht
erfolgreicher als vorher. Plötzlich mußte ich meine Anstrengungen unterbrechen:
Eine Frau kam in die oberste Etage, bemüht, das Klappern ihrer Absätze zu
dämpfen, was ihr aber nicht völlig gelang.
Eine Freundin von Marion?
Ich hielt den Atem an, erstarrt, auf der Lauer,
hörte sie hin und her gehen, so als wäre sie nicht sicher, wohin sie wollte, so
als irrte sie auf gut Glück umher. Und genau in diesem Moment bewegte ein
plötzlicher Windstoß die Tür meines Verstecks. Die rostigen Scharniere fingen
an zu jaulen. Stutzig geworden, blieb die Frau in dem langen Flur stehen.
Erst wollte ich zum Revolver greifen. Eine
unüberlegte Reaktion. Meine Situation war sowieso nicht gerade blendend. Ich mußte
sie nicht noch schlimmer machen. Also vergaß ich den Gedanken an mein
Schießeisen und wartete, auf alles gefaßt. Diesmal war Nestor reif. Ich
schickte mich ins Unvermeidliche.
Die Tür lachte wieder ihr rostiges Lachen. Ich
spürte deutlich, daß hinter ihr ein menschliches Wesen stand. Ein leichtes
Parfüm kitzelte mich in der Nase, die wie bei einem angeschossenen Reh
zitterte. Das Parfüm kannte ich
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