Stoff für viele Leichen
nicht zufällig über die Gestapo?“
„Über die Gestapo? Nein!“ Er war ehrlich
erstaunt.
„Na schön...“
Ich verstärkte die Tätigkeit meines Kleinhirns.
„Fassen wir zusammen“, sagte ich. „Der abenteuerliche
junge Mann sucht Sie auf. Seine verständliche Heimlichtuerei erweckt bei Ihnen
den Eindruck, einen Betrüger vor sich zu haben. Vorsichtig, wie Sie sind,
schmeißen Sie ihn raus. Dann aber erfahren Sie, daß diese angebliche Waffe
gegen Lévyberg tatsächlich existiert. Neulich brauchte Lévyberg nämlich nach
Schalterschluß plötzlich eine sehr hohe Summe in bar, nicht wahr?“
Er antwortete nicht. Auch in seinen schielenden
Augen stand Sprachlosigkeit. Ich fuhr fort:
„Er ließ bei seiner Bank nicht locker. Oder aber
er hat sich hier im Club was geliehen, wo er Mitglied ist. Als Sie das hören,
begreifen Sie, daß Marcellin dabei ist, die wichtige Waffe an Lévyberg zu
verkaufen. Sie wollen die abgebrochenen Verhandlungen wiederaufnehmen. Wenn der
Erpresser, was zu vermuten ist, noch eine Kopie der verkauften Dokumente hat
(unter uns gesagt: Lévyberg hat noch nichts gekauft!), wird er sie Ihnen
überlassen. Nur eine Frage des Preises. Aber Marcellin ist verschwunden, und
weil Sie ihn nicht alleine auftreiben können, engagieren Sie einen
Privatdetektiv, unter dem Namen Ihres Rechtsberaters, um nicht unnötigerweise
Mißtrauen zu erwecken.“
„Sie sind amüsant!“ rief Maireaux-Barthe.
„Erstaunlich. Sie verstehen verteufelt schnell...“
Er sah mir in die Augen, so gut es ging.
„...Sie wissen genausoviel wie ich. Ich frage
mich nur, warum Sie hierher gekommen sind.“
„Ich bin hierher gekommen, damit Sie mir meine
Überlegungen bestätigen“, sagte ich. „Guten Abend, Monsieur.“
Ich ging zum Schlafen in die Agentur.
Das Klingeln des Telefons riß mich aus einem
bleiernen Schlaf. Bevor ich abhob, sah ich auf die Uhr. Zwanzig nach zwei. Eine
ruhige, heitere Nacht. Ich machte Licht und ging schwankend an den Apparat.
Nach nicht weniger als fünfzehn Sekunden hatte ich den Hörer am Ohr.
„Hallo!“ sagte ich gähnend.
„Sind Sie’s, lieber Burma? Endlich. Hier
Esther.“
Ihre Stimme zitterte vor Aufregung.
„Ach ja? Tag. Wie geht’s Ihnen denn so?“
Etwas einfallslos, aber ich schlief noch.
„Ich möchte Ihnen etwas zeigen. Sofort. Können
Sie kommen?“
„Zu Ihnen?“
Sie stieß ihr seltsames Lachen aus:
„In ein Bistro an der Place du Caire. Ist die
ganze Nacht geöffnet. Kommen Sie?“
„Ja“, gähnte ich mechanisch.
Das entsprach nicht so ganz meinen Gedanken. Ich
wollte noch nach Erklärungen fragen; aber da gähnte ich schon wieder, wie eine
Leere. Als ich dann was anderes als Knurren hervorbringen konnte, hatte meine
Gesprächspartnerin aufgelegt. Der Teufel sollte sie holen. Trotzdem, ich konnte
sie nicht im Stich lassen. Verdammt nochmal! Wenn mir das damals jemand gesagt
hätte, 1930... Ich zog mich langsam und träge an. Als ich meinen Hut aufsetzen
wollte, überlegte ich mir, daß mir etwas Wasser im Gesicht guttun würde. Ich
ging ins Badezimmer. Dann schlich ich wie ein Schlafwandler durch die
menschenleeren Straßen.
Vor der Kreuzung Montmartre-Louvre belebten wir
uns, die Straße und ich. Die Ungetüme der Lebensmittelgroßhändler fuhren
vollbeladen zu den Hallen. Sie begegneten den Lastwagen der
Zeitungsauslieferer. Die ziemlich reine Nachtluft machte mich wieder munter.
Auf der Place du Caire beschimpfte ein einsamer
Betrunkener das Licht an dem Pissoir, das dort mitten auf dem Platz steht. Ich
ging in das Bistro, in dem Esther auf mich wartete. An der Theke standen zwei
Fernfahrer, kräftige Kerle mit verschlafenen, ernsten Gesichtern. Keine Esther.
Ich bestellte beim Kellner einen Kaffee, fragte ihn aber nichts. Sich über eine
Frau Sorgen machen, die einen versetzt hat! Wär ja noch schöner. Mit dem
schlechten Geschmack von Zichorie im Mund stand ich wider auf dem kleinen
Platz, mutterseelenallein. Schlafende Lastwagen versperrten die Rue du Nil.
Irgendwo klapperte eine Druckerei. Sehr weit weg stimmte eine heisere Stimme
ein patriotisches Lied an: der Betrunkene kam zurück, um seinen Rausch
auszuschlafen. Die Köpfe der Sphinxe an der Fassade des Gebäudes zur Passage du
Caire schienen mich erkannt zu haben. Sie gaben mir ein Rätsel auf.
Ich weiß nicht, warum ich mich in die Passage
hineinwagte. Vielleicht, weil das Gittertor offenstand. Auf leisen Kreppsohlen
ging ich an den feindseligen Geschäften entlang. Die dunklen
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