Stoff für viele Leichen
Schaufenster
enthielten das ganze Angebot an Damenunterwäsche oder weniger poetische
Auslagen. In den Scheiben spiegelte sich meine unauffällige Gestalt. Plötzlich
hatte ich das Gefühl, daß ich aus einem Geschäft heraus beobachtet wurde. Drei
Sekunden lang hielt ich den Schein meiner Taschenlampe auf die wächsernen
Schaufensterpuppen, auf ihre lächelnden Gesichter, ihre hübschen, rosigen,
straffen Brüste. Dann stolperte ich vor einer Galerie über so was wie ein
Stoffpaket. Es war aber kein Stoffpaket. Eher eine Schaufensterpuppe. Nicht so
rosig, aber genauso leblos.
* * *
Aus der Telefonkabine eines Bistros in der Rue
Paul-Lelong, in der lärmende Lagerarbeiter saßen, rief ich eine ganz bestimmte Nummer
an:
„Kommissariat“, sagte eine schläfrige, heisere
Stimme. „Passage du Caire“, sagte ich.
„Und?“
„Frau erwürgt.“
„Nicht kleingehackt? Warte dort, Freundchen. Wir
kommen sofort und amüsieren uns mit dir, du Witzbold.“
„Und Rue Montorgueil, war das auch ein Witz?“
„Ach! Scheiße!“
Der Flic rief quer durch die Wachstube seinen
kartenspielenden Kollegen zu:
„...Der Sadist hat wieder zugeschlagen.“
Ob er mich dann noch was fragen wollte, weiß ich
nicht. Ich war nicht mehr dran.
An dem Abend hatte Monsieur Maireaux bestimmt
eine hübsche Summe gewonnen. So ein Glückspilz! Dagegen war der Skandal, der
sich anbahnte, für Monsieur Lévyberg höchst unangenehm.
11
Das Markenzeichen
Als Hélène kam und mich weckte, hatte ich noch
gar nicht lange geschlafen. Ich erzählte ihr von meiner Unterhaltung mit
Maireaux, verschwieg ihr jedoch Esthers Anruf und das, was ich danach erlebt
hatte. Dann wartete ich, ziemlich schlecht gelaunt. Gegen zehn Uhr kamen zwei
Männer. Schlapphut, unauffälliger Anzug, naives Aussehen.
„Kommissar Faroux möchte Sie sprechen“, sagte
einer der Flics, nachdem er seine Dienstmarke vorgezeigt hatte, was vollkommen
überflüssig war.
„Ach!“
„Ja.“
„Faroux ist ein guter Freund von mir, aber meint
er, ich laufe ihm nach?“
„Er möchte Sie sprechen“, wiederholte der Flic.
„Habt ihr kein Telefon mehr?“
„Er hat Arbeit. Jetzt reicht’s aber, ja? Kommen
Sie mit oder nicht?“
„Und wer sagt mir, daß Sie keine falschen Flics
sind?“
„Jules, hast du das gehört?“ fragte er seinen stummen
Kollegen. „...Falsche Flics! Hat einen feinen Riecher, der Herr Detektiv.“
„Schon gut“, lenkte ich ein. „Ich folge Ihnen
unauffällig. Aber ein Benehmen ist das! Das wird mir Faroux büßen.“
„Ist uns doch egal. Wir haben unsere
Anweisungen.“
„Muß ich einen Koffer mitnehmen? Bei euch kann
man nie wissen.“
„Von ‘nem Koffer war keine Rede. Ihre Tippse
kann ihn ja schon mal packen. Man kann nie wissen, wie Sie schon sagten.“
„Also hören Sie mal!“ protestierte Hélène.
„Schnauze!“ sagte der Flic.
Kein Zweifel. Das waren richtige.
In der Rue Sainte-Anne wartete ein Polizeiwagen
auf uns. Wir stiegen ein und fuhren los. Nicht in Richtung Quai des Orfèvres,
sondern Rue des Jeûneurs. Ich sagte nichts. Die Angestellten von Berglevy,
denen wir im Haus begegneten, machten ein Gesicht, das den Umständen entsprach.
Geheuchelte Trauer, echte Neugier. In dem wohlbekannten Salon mit den
Stilmöbeln hielt Faroux mit einigen Kollegen Kriegsrat ab.
„Aha, da sind Sie ja!“ rief er. „Sie kennen das
Haus, nicht wahr?“
„Mehr oder weniger.“
„Monsieur René Lévyberg?“
„Mehr oder weniger.“
„Mademoiselle Esther Lévyberg?“
„Etwas besser.“
„Gut. Ich bin zwar nicht mit der Untersuchung
beauftragt, aber als ich erfuhr, daß Sie mit der Sache zu tun haben, dachte
ich, ich schau mal rein.“
„Welche Sache?“
„Mademoiselle Lévyberg ist heute nacht
umgebracht worden.“
Ich tat überrascht. Mit viel Talent. Hab mich
lange drauf vorbereitet, unvorbereitet auszusehen. Faroux erklärte:
„Die Flics im Viertel sind angerufen worden, von
dem Sadisten aus der Rue Montorgueil. Wollte jedenfalls unbedingt dafür
gehalten werden. Sie fanden die Tote in der Passage du Caire, gegen drei Uhr
morgens. Mit einem stumpfen Gegenstand niedergeschlagen, dann mit den Händen
erwürgt...“
„Und weshalb...“
„Augenblick. Sie hatte ein Tagebuch bei sich,
halb in Französisch, halb in Jiddisch. Ein wirres Geschreibsel — ich mein den
französischen Teil, der andere wird noch übersetzt. Außerdem viele Namen. Sie
sind auch mit von der Partie „Danke für die
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