Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stoff für viele Leichen

Stoff für viele Leichen

Titel: Stoff für viele Leichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
Vom Netzwerk:
genau
gegenüber einer Devotionalienhandlung. Sauber, unauffällig, dunkel. Wie die
Kirche nebenan. Man roch beinahe den Weihrauch.
    „Ich möchte den Patron sprechen“, sagte ich zu
dem Jungen, der verträumt in einer Ecke des Büros saß. Ein blonder, etwas
magerer Engel.
    „Der bin ich.“
    Er sprach mit dem Akzent von Aubervilliers .
Ich gab ihm meine Karte.
    „Nestor Burma“, sagte er und gab mir herzlich
die Hand. Eine große Hand. „Kenn ich. Ich bin Gabriel. Was kann ich für Sie
tun? Ich sag’s Ihnen gleich: im Augenblick ist nichts frei.“
    „Aber einer Ihrer Mieter ist doch ausgezogen!
Victor Marcellin.“
    „Ach! Sie wissen Bescheid? Ausgezogen ist nicht
das richtige Wort. Sein Zimmer hat er immer noch. Er kann von heute auf morgen
wieder auftauchen.“
    „Sagen Sie mir, wenn das passiert? Ich such ihn
nämlich.“ Monsieur Gabriel schlug mit der Faust auf den Tisch. Kopfschüttelnd
rief er:
    „Das ist ja göttlich! Monatelang kümmert sich
kein Mensch um den Kerl, und da hat er Lust auf einen kleinen Ausflug, und alle
rennen hinter ihm her. Erst ein älterer Herr mit Brille, sehr elegant...“
    „Mit Silberblick?“
    „Genau. Kennen Sie ihn?“
    „Ich arbeite für ihn.“
    „Was will man von ihm? Ich mein von M’sieur
Marcellin?“
    „Er wird wegen einer Erbschaft gebraucht.“
    „Ach, das ist ja interessant. Wohlgemerkt, er
schuldet mir nicht einen Sou; aber es ist doch immer sehr beruhigend zu wissen,
daß man solvente Mieter hat. Vor allem, wenn sie manchmal unpünktlich zahlen,
wie M’sieur Marcellin.“
    „Und wer war außer dem älteren Herrn noch hier?“
    „Seine Freundin, anscheinend.“
    „Seine Freundin?“
    „Ja, wieso? Haben Sie denn keine?“
    „Mehrere.“
    „Na ja, im Vertrauen“, lachte Monsieur Gabriel.
„Ich glaube, er auch. Klar, diese jungen Leute, in ihrem Beruf... Gelegenheit
macht Diebe.“
    „Verstehe.“
    „Und vielleicht ist er auch abgehauen, weil er
von der Brünetten die Nase voll hat und woanders was Besseres gefunden hat.
Würde mich nicht wundern. Aber wie sagt man? Glück in der Liebe... Diese
Erbschaft kommt gerade im richtigen Augenblick...“
    „Hm. Erzählen Sie mir doch mal, wie er abgehauen
ist.“
    „So viele Möglichkeiten gibt’s da ja nicht.
Außer, wenn einer sich auf leisen Sohlen davonmacht... Gestern morgen kam er
mit einem kleinen Koffer runter. Sah aus, als hätt’ er einen Kater. ,Ich gehe
für ein paar Tage weg’, sagte er zu mir. ,Die Post brauchen Sie mir nicht
nachschicken!’ Wo er doch kaum welche kriegt! Aber, ich sag’s Ihnen, er schien
wie im Tran. ,Ich schreib Ihnen.’ Und weg ist er. Kann mir schließlich egal
sein. Das Zimmer ist für einen Monat im voraus bezahlt.“
    „Kann ich das Zimmer mal sehen?“
    „Wenn Sie wollen.“
    Es war sauber. Blankgeputzt wie ein neuer Sou.
Und aufgeräumt. Sehr aufgeräumt. Einige Bücher—in der Mehrzahl Kriminalromane —
standen auf einem Regalbrett über der Anbauliege, weitere stapelten sich in
einer Ecke. Im Schrank hing reichlich Garderobe. Aber nirgendwo lag ein Zettel
rum, ein Notizbuch, ein Heft, ein Foto. Ein sehr aufgeräumtes Zimmer.
    Wir gingen wieder nach unten. In der Hotelhalle
stand etwas hilflos ein junges Mädchen. Monsieur Gabriel stieß mich mit dem
Ellbogen an.
    „Die Brünette“, sagte er. „Guten Tag,
Mademoiselle“, sagte er laut.
    „Guten Tag, Monsieur“, grüßte ihn die Brünette.
„Ich komme wegen
    Sie sprach leise und bescheiden. Schöne Augen,
schöne Zähne, schönes Gesicht, aber traurig. Ihre Kleidung war ordentlich, dabei
nicht ohne eine natürliche Eleganz, aber bescheiden. Die Finger an ihren
ziemlich groben Händen waren seltsam gefärbt. Eine Arbeiterin. Eine von den
kleinen Pariser Arbeiterinnen, die bei jeder Gelegenheit besungen werden.
    „M’sieur Marcellin ist noch nicht wieder
zurückgekommen“, sagte die Hotelier in entsprechendem Tonfall. „Aber wir werden
ihn schon wiederfinden, machen Sie sich mal keine Sorgen. Monsieur…“ er zeigte
auf mich, „...ist darauf spezialisiert, er ist Detektiv...“
    „Detektiv?“ rief sie. „Hat er was gemacht?“
    „Aber nein“, beruhigte ich sie. „Wir suchen ihn
wegen einer Erbschaft.“
    „Dann stimmt das also?“
    „Erwartete er eine Erbschaft?“
    „Na ja, vor einiger Zeit hat er mir gesagt, wir
würden reich...jetzt kommt die Erbschaft, und er läßt mich sitzen...“
    „Aber sie ist doch noch gar nicht da“,
widersprach Monsieur Gabriel. „Man sucht ihn

Weitere Kostenlose Bücher