Stoff für viele Leichen
übernehmen. Ich hatte
die Hand schon am Telefonhörer, überlegte es mir jedoch anders und ließ ihn auf
der Gabel. Nicht nötig, Esther anzurufen, um was Neues zu erfahren. Ich schrieb
mir aus Lemeuniers Zeitung die Adresse von Monsieur Maireaux alias Barthe raus.
Place Gaillon. Dann ging ich ins Restaurant in die Rue des Moulins, um zu
essen, was noch übrig war. Als Digestif nahm ich nochmal das Gesicht von Victor
Marcellin unter die Lupe. Clo hatte recht. Ein hartes Gesicht. Energisch wie
ein raffinierter Gangsterboß. Einer, der weiß, wie’s gemacht wird. Langsam,
Kleiner. Du bluffst, du gibst an. Das Foto hier ist nicht auf der Straße
gemacht worden. Du siehst weniger großspurig aus, wenn du mit einer kleinen
Sache zu deinem Arbeitgeber kommst, dem Erpresser und Professor für Gesang, und
ihn dann mausetot vorfindest. Dann merkst du nämlich, wie brenzlig diese
Branche ist, und läßt alles im Stich: Bude, Frau, Erpressung. Du verschwindest
ganz einfach von der Bildfläche.
10
Großreinemachen
Als ich aus dem Restaurant kam, war es schon
völlig dunkel. Ich nahm Kurs auf die Wohnung von Monsieur Eugène Maireaux, dem
vornehmen Heimlichtuer, dem schwarzen Schaf einer der zweihundert besten
Familien. Sein Haus an der Place Gaillon befand sich neben dem von Drouant, in
dem der Prix Goncourt im Dezember Menschen glücklich macht. In einer anderen
Art von Literatur hatte Lemeunier auch auf Lorbeer gehofft; aber es gab nur
einen Kranz.
Ein steifer Diener teilte mir mit, Monsieur
Maireaux sei nicht im Hause. Monsieur Maireaux sei in seinem Club in der Rue
Louis-le-Grand.
Ein schwer zugänglicher Ort. Trotzdem gelang es
mir, meine Karte bis zu Monsieur Maireaux Vordringen zu lassen. Vielleicht war
es ihm gar nicht so recht, daß ich in seinem Spiel mitspielte. Er ließ mich
nicht übermäßig lange warten. Ich saß unter dem Kronleuchter des goldenen
Salons und rauchte. Während ich mir noch so meine Gedanken über einen Plymouth
machte, den ich vor dem eleganten Club gesehen hatte, kam Monsieur Maireaux zu
mir in den Salon. Seine gepflegten Hände mißhandelten meine Visitenkarte. Ich
hatte den Eindruck, sein Schielen war stärker geworden. Ohne Einleitung sagte
er in scharfem Ton:
„Ich stelle fest, Sie haben keine Zeit verloren.
Und Sie sind ein tüchtiger Detektiv. Für meinen Geschmack etwas zu tüchtig. Ich
habe Sie nicht damit beauftragt, meine wahre Identität zu ergründen.“
„In meinem Beruf zieht eins das andere nach
sich“, erwiderte ich als Erklärung.
Ich zeigte ihm das Foto des Journalisten.
„Das ist der junge Mann“, sagte er. „Haben Sie
ihn schon gefunden?“
„Noch nicht. Hab nur rausgekriegt, daß er hin
und wieder Leute erpreßt. Aber das wußten Sie ja schon.“
„Ich versteh nicht.“
„Nicht mogeln. Das wird hier nicht gern gesehen.
Spielen wir mit offenen Karten. Sie konkurrieren mit Lévyberg, Textilien, beim
Kauf des Méridien. Ein
schöner kleiner Skandal, der dem Juden schadet, wäre gar nicht zu verachten.
Victor Marcellin hat irgendeine Waffe gegen Lévyberg in der Hand. Das wissen
Sie, nicht nur so vom Hörensagen. Bestimmt hat Ihnen der junge Gauner den
Vorschlag gemacht, Ihnen diese Waffe zu verkaufen. Aus irgendeinem Grund
konnten Sie sich nicht einigen. Jetzt haben Sie Ihre Meinung geändert und
versuchen, mit Marcellin wieder in Kontakt zu kommen. Stimmt’s?“
Die Augen hinter den dicken Brillengläsern
wurden größer und größer.
„Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll,
Monsieur.“
„Vielleicht was Unanständiges?“ schlug ich
lächelnd vor.
Er lächelte zurück:
„Das ist nicht meine Art. Außerdem erkenne ich
als Spieler Ihren Sieg an, Monsieur Burma. Wenn ich nicht weiß, was ich sagen
soll, dann heißt das, ich habe Ihren Worten nichts hinzuzufügen.“
„Danke für die Bestätigung. Darf ich fragen,
welche Ware Victor Marcellin anzubieten hat? Vielleicht ist das jetzt die
richtige Gelegenheit für ein unanständiges Wort?“
Er lachte:
„Sie legen anscheinend Wert darauf. Aber auf
dieses Niveau werd ich Ihnen nicht folgen. Die Ware, wie Sie das nennen, die
der junge Mann uns angeboten hat, kennen wir gar nicht. Wir wissen nicht mal,
ob es sie wirklich gibt.“
„Ich verstehe. Er wollte zuerst das Geld sehen.
Das hat Ihnen nicht gefallen.“
Monsieur Maireaux seufzte:
„Es gibt so viele Betrüger...“
„Hat er denn wenigstens vage Andeutungen
gemacht?“
„Nein. Nichts.“
Unvermittelt bemerkte ich:
„Auch
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