Stoff für viele Leichen
nur deswegen.“
„Ja? ... Oh! Ich will Ihnen gerne glauben...ich
weiß überhaupt nichts mehr.“
„Ich werd’s Ihnen erklären“, mischte ich mich
ein. „Ist schließlich mein Beruf, Erklären. Ich heiße Nestor Burma. Und Sie?“
„Clotilde. Clotilde Philippon. Einfach Clo.“
„Gut, Clo. Sie können mir sicher bei meiner
Arbeit helfen. Wir gehen am besten in ein Café, und Sie erzählen mir was über
Ihren Vagabunden. Ich geb Ihnen einen aus.“
„Wenn Sie meinen, M’sieur.“
„Gehen Sie doch ins Vieux Saumur“, schlug
Monsieur Gabriel vom Hotel Macé vor.
„Ja, und ich laß ein Glas für Sie übrig.“
„Sie verstehen schnell“, lachte er.
Noch einer, der mir schmeicheln wollte.
Im Vieux Saumur erfuhr ich nichts Neues. Was Clo
mir erzählte, war so gut wie nichts. Nicht mal ein Foto ihres Geliebten hatte
sie in der Tasche. Aus Enttäuschung war so was aus ihren persönlichen Papieren
rausgeflogen. Aber sie hatte den kindischen Bildersturm nicht bis zum äußersten
Gipfel getrieben und beichtete mir, daß sie noch ein paar Schnappschüsse und
Vergrößerungen aufbewahrt hatte. Wahrscheinlich über ihrem Bett. Vielleicht war
jetzt ein Foto gar nicht mehr nötig. Trotzdem hätte ich mir gern eins näher
angesehen. Das Mädchen hatte großes Vertrauen zu mir und war damit
einverstanden, daß ich mit in ihre Wohnung kam.
Sie wohnte am anderen Ende des Arrondissements,
in der Rue Sainte-Foy. Eine laute Gegend, die von den keuchenden Motoren der
anfahrenden Lastwagen widerhallte. Aber es war ganz in der Nähe ihrer
Arbeitsstelle, einem Atelier für künstliche Blumen. Sie hatte ein mehr oder
weniger separates Zimmer in der Wohnung einer alten, kranken Tante. Das
erklärte, warum sie nicht mit Victor Marcellin zusammengewohnt hatte. Ich
hoffte, für alles würde sich schließlich eine so einfache Erklärung finden.
„Hier“, sagte Clo und legte eine ganze Fotoserie
vor mir auf den Tisch. „Wollen Sie eins mitnehmen?“
„Ich kann ja das nehmen, was Ihnen am wenigsten
gefällt“, sagte ich.
Sie schluchzte ein wenig und reichte mir eins.
Ein ziemlich affektiertes, aber völlig scharfes Foto.
„Ich finde ihn hart, da drauf.“
Hart? Von wegen! Das hing ganz von der Situation
ab. Ich steckte das Foto in die Brieftasche.
„Sehen Sie hier“, sagte sie mit einem traurigen
Lächeln. „Wir sind nicht gut getroffen, hm? Aber ich behalt’s trotzdem.
Wenigstens sind wir zusammen drauf.“
Bestimmt verband sie damit eine Erinnerung an
glückliche Stunden. Solche Fotos sollte man am besten sofort verbrennen. Vielleicht
hatten die beiden Turteltauben gewettet: Wer macht das blödere Gesicht?
„Ist heimlich aufgenommen worden...“
„Sieht man.“
„...Diese Fotografen auf den Boulevards, wissen
Sie, einer seiner Freunde.“
„Komischer Freund“, konnte ich mir nicht verkneifen.
„Er hätte warten können, bis Ihr Gesicht weniger... äh... na ja, Sie haben’s ja
selbst gesagt: nicht gut getroffen.“
„Ach, das war eigentlich kein Freund. Hat er nur
so gekannt, glaub ich.“
Sorgfältig legte sie die Fotos wieder ins Album
zurück. Ich erwartete zwar nichts mehr von dem Mädchen, redete aber noch eine
Weile mit ihr. Sie sprach wieder von der Hoffnung auf Reichtum und davon, daß
ihr Journalist sie jetzt sitzen lassen würde. Das übliche Gejammer, diesmal
berechtigt. Hab ich schon oft erlebt.
„Wenn ich daran denke, wie nett er sein konnte.
Einfach so wegzugehen, ohne mir was zu sagen. Als ich mal völlig abgebrannt
war, hab ich noch Heimarbeit angenommen. Und er hat auch mitgeholfen. Und seine
Blumen waren genauso schön wie die anderen...“
Sie zeigte zum Kamin hin, auf dem sich zwei
malvenfarbene Blumen in einem Wasserglas duellierten.
„Die hat er gemacht.“
„Wie heißen die?“
„Bill.“
„He?“
„Bill.“
„Das ist doch kein Blumenname, oder?“
„Ein englischer Vorname. Das sind Iris, aber er
hat sie zum Spaß Bill getauft. Ich weiß nicht, warum. Wissen Sie, Journalisten
haben manchmal komische Ideen...“
Ich lachte:
„Ideen aus dem Almanach Vermot !
Bill. Iris. Biliris. Die Chansons von Biliris. Er liebt wohl Wortspiele, hm?“
„O ja!“
Und bestimmt immer dieselben. Hat sich richtig
angestrengt, die Kleine zu verführen. Ihre Liebe ging so weit, daß sie mir die
Wortspiele am liebsten sofort aufgetischt hätte. Nichts wie weg!
Ich ging in die Agentur. Hélène war nach Hause
gegangen. Auf einem Zettel riet sie mir, mich nicht zu
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