Stoff für viele Leichen
Druckerei verband. Durch dreckige Scheiben konnte
ich in die hellerleuchtete Werkstatt sehen.
Vier Männer
erledigten unter der Aufsicht eines fünften eine seltsame Nachtarbeit. Seltsam,
aber bestimmt gutbezahlt Spitzenlohn für Überstunden. Die Druckmaschinen ruhten
aus, aber nicht die Drucktypen. Auf einem Broschiertisch lag jede Menge
rechteckiges buntes Papier, das den Blüten echter Hundertdollarnoten verdammt
ähnlich sah. Auf einem zweiten Tisch — weiter weg, damit nichts schmutzig
werden konnte — lagen ausgerollt neue Stoffe, die fachmännisch wieder um eine
Holzplatte gewickelt wurden. Bei jeder Drehung wurden Banknoten mit eingerollt.
Wenn ein Stoffballen vorschriftsmäßig fertiggerollt war, wurde er nach oben
gebracht. Wahrscheinlich lag er dann in einem Lastwagen unter den normalen,
anständigen Stoffballen. Gar kein schlechter Trick. Genial war es vor allem,
das Ding unter dem Dach des ehrenwerten, soliden und fast hundertjährigen
Hauses Lévyberg zu drehen.
Das also
hatte Esther herausgefunden. Deshalb mußte sie sterben. Ein kräftiger Schlag
auf den Kopf und danach noch Morenos Finger. So wurde keiner von ihnen
verdächtigt.
Und
verantwortlich dafür war der Kerl, der vor meinen Augen hin und her stolzierte.
Elegant, vornehm, redegewandt, Typ Arsène Lupin, dazu aus Fleisch und Blut.
Scherzend ging er in seinem gutgeschnittenen dunklen Anzug in der Werkstatt auf
und ab und trieb seine Komplizen an. Dabei spielte er mit einem kleinen
Gegenstand aus Perlmutt, der in dem Licht der elektrischen Glühbirne blitzte.
Trotzdem konnte er verstehen, was die anderen sagten, und ihnen antworten. Er
war nämlich überhaupt nicht taub. Aber mit dem Hörapparat konnte er so schön
das ärgerliche besondere Kennzeichen an seinem Ohr verbergen, das der Polizei
wohlbekannt war. Und die Kontaktlinsen waren schließlich nicht für die Katz
erfunden worden. Trotz seiner starken Kurzsichtigkeit konnte Péronnet ohne
Brille auskommen.
Dieser Mann
hatte Esther erwürgt, Marion erdolcht. Hatte auch Lemeunier und noch einige
andere umgebracht, aber die waren mir egal. Nur Esther und Marion... Und bald
auch sicher Nestor...
Ich
überprüfte meine Fesseln. Schön fest, aber nur Schnur. Ich zappelte auf meinem
Papierbett, suchte irgendetwas Scharfkantiges. Überall liegt doch ein Stück
Eisen herum. Überall. Nur hier nicht. Schließlich fand ich aber doch einen
kaputten Ziegelstein. Daran rieb ich meine Handgelenke. Ich hatte es fast
geschafft, als ich jemand kommen hörte. Einer von den Gangstern blieb vor mir
stehen.
„Hallo!“ rief
er. „Der Junge, der sich neue Visitenkarten drucken lassen wollte! Ist wieder
aufgewacht.“
„Bring ihn
her“, befahl Péronnet.
Ein Zweiter
kam hinzu. Während einer mich mit dem Revolver in Schach hielt, befreite der
andere meine Füße von den Fesseln. Dann wurde ich rücksichtslos in die
Druckerwerkstatt gestoßen.
„Hier ist der
Junge, der sich neue Visitenkarten drucken lassen wollte“, wiederholte der eine
nochmal mit einem breiten, blöden Grinsen. Der nutzte wohl seine Scherze bis
zum Erbrechen ab.
„Visitenkarten?“
fragte Péronnet. „Du mußt dich irren, Jo. Was soll Monsieur Burma jetzt noch
mit Visitenkarten anfangen? Wird wohl keine Visite mehr machen. Im Gegenteil,
er kriegt ‘ne hübsche Todesanzeige...“
„Hihihi!“
machte Jo.
„Schnauze!“
knurrte ich.
„Ich sehe, Sie
schätzen meinen Humor nicht, Monsieur Burma. Dann kann ich ja kurzen Prozeß mit
Ihnen machen. Ich hab’s übrigens sowieso eilig. Noch heute werde ich Frankreich
verlassen. Jo...“
Jo ließ mich
eine Sekunde aus den Augen. Eine heftige Bewegung, und die Fessel, die ich
schon mit dem Ziegelstein halb durchgescheuert hatte, war ganz durch. Sofort
stürzte ich mich auf Jo und nahm ihm die Kanone ab. Dann sprang ich unter eine
Maschine. Hartmetall, umgeben von Stößen von Papier, was als Bollwerk dienen
konnte. Kaum war ich in meinem Unterstand gelandet, als auch schon meine Kanone
Feuer spuckte. Um mir nichts schuldig zu bleiben, gaben sie es mir von allen
Seiten. Tobten rum wie die Wilden. Die Kugeln prallten dumpf auf das Metall auf
oder drangen in das weiche Papier ein. Fast fühlte ich mich in die Rue
Saint-Denis zurückversetzt. Rue Saint-Denis! Was war ich doch für ein Dussel
gewesen. Sicher, ich hatte damals nicht Bescheid gewußt, aber Herrgott nochmal!
Ich hätte doch etwas besser aufpassen sollen! Hätte kapieren müssen, daß sich
der Korse damals einen Dreck um
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