Stoff für viele Leichen
sagte.
„Ich hab’s
schon gehört...“ schluchzte Clo. Ihr hübsches Gesicht war tränenüberströmt.
„Hat er...hat er sich wegen mir... umgebracht?“
„Red keinen
Unsinn!“ schimpfte die Alte.
„Er hatte Angst,
eine falsche Bewegung...“, sagte ich.
Das war
einfach nur so ein tröstlicher Satz, der mir in den Kopf kam. Später dann...
Ich kam auf die Iris zu sprechen. Es gab noch eine andere, ebenfalls aus der
Werkstatt des Bastlers — Basteleien aller Art — , und diese Iris hatte sie bei
ihren persönlichen Sachen im Betrieb.
„Ich brauche
die Blume“, sagte ich. „Wir müssen unbedingt Ihren Boß rausklingeln.“
„Oh, nicht
nötig!“ rief sie. „Auf den Schreck hin hab ich gekündigt und meinen ganzen Kram
mitgebracht.“
Als sie die
künstliche Blume hervorholte, riß ich sie ihr aus der Hand.
„Was machen
Sie da?“ schrie sie. „Ein Andenken...“
„Ich nehm sie
auseinander“, antwortete ich und brachte mich außer Reichweite.
„Verrückte,
lauter Verrückte“, seufzte die Kranke und nahm die Armlehnen des Rollstuhls zu
Zeugen.
„Hier!“
schrie ich triumphierend. „William Irish hatte doch was zu sagen, Hélène!“
Zwischen zwei
Lagen Stoff und Papier, fest um den Stengel gewickelt und von Draht gehalten, kamen
zwei Fotografien und ein Negativ zum Vorschein.
„Was ist das
denn?“ rief Clo.
„Verrückter
Kerl“, rief die Alte. „Der spinnt wirklich.“
„Damit wollte
er reich werden“, erklärte ich.
Auf den Fotos
und dem Negativ waren zwei Männer zu sehen. Auf der Straße, ins Gespräch
vertieft. Offensichtlich dicke Freunde. Der eine war René Lévyberg, der andere
Henri Péronnet.
„Und der
versteckt sich nicht“, bemerkte ich. „Da, Hélène. Sieht so aus, als bemühte er
sich, daß man sein auffälliges Ohr sieht. Dabei sollte er es eigentlich
verstecken. Komisch...“
„Ja“, sagte
Hélène. „Normalerweise, bei diesen heimlichen Straßenfotos...“
„Verdammt!
Clo, meine liebe Clo, Marcellin hatte einen Freund, der ist Straßenfotograf,
haben Sie doch gesagt..
„Das war kein
Freund. Kannten sich nur so. Ich hab sie nur einmal zusammen gesehen. Nein,
zweimal. Bei dem Foto, das ich Ihnen gezeigt habe, wo wir zusammen drauf sind.
Und dann...ja, ich glaube, er hat ihm einen Film gegeben.“
„Wie sah der
Fotograf aus? Zufällig wie ein Korse, dunkler Typ und so?“
„Doch, ich
glaub, er ist sogar Korse. Heißt irgendwie mit i.“
„Paolizi.
Emilio Paolizi?“
„Den Vornamen
hab ich vergessen. Aber Paolizi, so hieß der. Ich kann mich noch dran erinnern,
weil ich früher mal in einem Restaurant gegessen habe, das hieß genauso
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Stoffe und Blüten
„Immerhin
etwas“, sagte Hélène.
Wir gingen
durch die verlassenen dunklen Straßen zu Lévyberg. In diesem Teil des Viertels
hört alles Leben auf, sobald die Nacht hereinbricht. Vielleicht war der
Tuchhändler gar nicht zu Hause. Vielleicht würde er nie mehr zu Hause sein.
Aber wir konnten’s ja mal versuchen.
„Ja“, sagte
ich. „Also: Paolizi ist Péronnets Komplize und schießt das Foto. Das kann vor
allem Lévyberg kompromittieren, denn Péronnet zeigt freundlicherweise sein auffälliges
Ohr, damit kein Zweifel über seine Identität besteht. Schlußfolgerung: Péronnet
ließ das Foto machen, um Lévyberg erpressen zu können.“
„Also kennen
sich Lévyberg und Péronnet?“
„Offensichtlich.
Nur weiß Lévyberg nicht, mit wem er’s zu tun hat.“
„Meinen Sie?“
„Erst mal
weiter. Péronnet will das Negativ haben. Fehlanzeige. Paolizi will selbst
abkassieren. Gibt es einem, den er flüchtig kennt. Marcellin hat den Vorteil,
offiziell nichts mit dem Korsen zu tun zu haben. Péronnet nimmt sich Paolizi
vor. Der verrät nichts, stirbt aber an der Behandlung. Wenn er geredet hätte,
hätte Marcellin nicht erst heute Ärger gekriegt. Dante will seinen Bruder
rächen. Er weiß, wann Péronnet in das Bistro in der Rue Saint-Denis geht, und
organisiert eine Strafexpedition. Ergebnis: vier weitere Leichen.“
„Macht
zusammen fünf.“
„Sie können
aber gut rechnen. Wochen vergehen. Marcellin, Zauberlehrling und Schreiberling
von Lemeunier, will die Früchte der Arbeit von Paolizi ernten.“
„Er oder
Lemeunier?“
„Nur er. Lemeunier
hat nichts damit zu tun, kriegt aber trotzdem das Fell über die Ohren gezogen.
Dazu kommen wir später. Marcellin schlägt unserem Freund Maireaux ein Geschäft
vor. Der schmeißt ihn raus. Also wendet er sich selbst an
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