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Stollengefuester

Stollengefuester

Titel: Stollengefuester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marijke Schnyder
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Menschen auf dieser Welt herum.«
    »Je häufiger ein Mensch spazieren geht, desto größer werden seine Chancen, während eines Spaziergangs umgebracht zu werden«, folgerte Nino Zoppa.
    »Messerscharf, Herr Einstein. Deine neueste Relativitätstheorie? Vielleicht müsstest du sie von der statistischen Abteilung der Polizei überprüfen lassen.«
    Nino Zoppa grinste. »Ich wüsste nur zu gern, wie ungesund spazieren gehen tatsächlich ist. Du hast doch mal in der Statistik gearbeitet.«
    Nore Brand schaute aus dem Fenster. Das war lange her. Zahlen, Prozente, beeindruckende Grafiken. Mit Zahlen hatte man die Welt im Griff.
    »Mordopfer in Prozenten auszudrücken, sie in bunten Grafiken unterzubringen, ist eine kreative Sache. Und es beruhigt. Man macht sich dabei die Hände nicht schmutzig. Man kann sich Gedanken machen über die Ästhetik einer Darstellung. Es ist fast wie Meditation.«
    Sie verstummte für eine Weile. »Einmal hat mich der Gedanke überfallen, dass hinter den Zahlen Menschen sind. Opfer. Davon ist mir schlecht geworden.«
    »Dann hast du aufgehört damit.«
    Er nahm den Fuß vom Gaspedal.
    »Schau, da rechts. Camping Seegarten.«
    Nino Zoppa fuhr vorsichtig in die kleine Straße.
    Nore Brand schaute sich um. »Wenn es sein muss. Hier fallen wir vielleicht doch am wenigsten auf. Aber dass dieses Gefährt ausgerechnet tomatenrot sein muss.«
    Nino warf ihr einen empörten Blick zu. »Tomatenrot? Laut Prospekt handelt es sich um ein sogenanntes Senegal-Rot. Vielleicht sogar um ein etwas verblasstes Chianti-Rot. Nach so vielen Jahren ist das schwer zu sagen«, erklärte er mit Kennermiene.
    Nore schaute ihn von der Seite an. Es war nicht zu fassen, wie zart Nino das Steuerrad in seinen Händen hielt. Welche hingebungsvolle Zärtlichkeit dieser Bus von Nino Zoppa erfuhr.
    »Gut, dann eben Senegal-Rot. Oder verblasstes Chianti-Rot.«
    Es leuchtete ihr umgehend ein, dass sich kein Mann je für einen tomatenroten Bus interessiert hätte.
    Senegal-Rot war etwas ganz anderes. Das erinnerte an Abenteuer und Wüste. Bus-Rallye! Safari! Mit zähnefletschenden, fauchenden Riesenraubkatzen.
    Und Chianti-Rot? Eher etwas für den hedonistischen Bus-Helden. Wein, Weib und ein wenig Wagemut.
    Wie raffiniert. Für jeden etwas dabei im Automobil-Farbprogramm.
    Unter welcher Farbbezeichnung lief eigentlich ihr neuer Nagellack?
    Nore Brand überflog das Gelände. Ihr Blick ging ans Ende des Tals, die Abhänge hinauf an den dramatisch hohen Horizont. Der Wildstrubel erhob sich mächtig und gleichmütig wie immer über dem Tal.
    »Eine wunderschöne Landschaft!«, schwärmte Nino Zoppa.
    Nore Brand staunte.
    »Das letzte Mal konntest du nicht schnell genug weg von hier.«
    »Auch ich werde vermutlich reifer und zugänglich für die Schönheiten dieses Tals. Mir gefällt es. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, dass das jemals anders gewesen ist. Schau mal, diese mächtigen Berge! Ich hoffe, dass wir hier ein paar Tage zu tun haben.«
    »Das muss an diesem Bus liegen.«
    Nino Zoppa strich zärtlich über das Lenkrad.
    »Vielleicht. Ich glaube eher, dass tief in mir ein Bergler schlummert.«
    Nore Brand lachte. »Schlummert? Er ist eben wach geworden. Wach geküsst von einem alten, roten VW-Bus.«
    Nino Zoppa strahlte.
    »Wir sind gleich da.«
    Er zeigte auf ein Schild. Camping Seegarten.
    Er bremste vor dem Tor, das ins Camping-Areal führte.
    »Hier sind wir gut positioniert. Was meinst du? Die Hasenweid ist zu weit weg.«
    »Wie du meinst.«
    »Wenn etwas geschieht, sind wir nahe genug.«
    Sie hoffte immer noch, dass sich nichts weiter zutragen würde.
    Unter Umständen war es ja bereits vorbei. Der Hoteldirektor war vielleicht einfach abgestürzt. Nichts als ein sehr bedauerlicher Unfall. Und ein Flugzeug transportierte Material für die Bauarbeiten ins Tal hinauf.
    In lebhaften Fantasien nahmen diese Banalitäten rasch die wildesten Dimensionen an.
    Nore Brand hoffte immer noch. Noch konnte sie schweigen. Noch gab es keinen Grund, das Versprechen, das sie Anwalt Merian gegeben hatte, zu brechen. Klara Ehrsams letzter Wille sollte ein Geheimnis bleiben. Die Kulturfraktion der Geheimdienste Russlands und der Schweiz bauten in den Bergen sichere Stätten für Kulturgüter, die Klara Ehrsam in politisch und klimatisch sicherere Zeiten hinüberretten wollte.
    Nino Zoppa stellte den Motor ab und seufzte leise. »Dieser Motor, das ist Musik.«
    »Musik?«, erwiderte sie zweifelnd. »Ich weiß nicht.«
    »Das wirst du nie

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