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Stollengefuester

Stollengefuester

Titel: Stollengefuester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marijke Schnyder
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reagieren.
    Also öffnete Nino seine Birne und hörte zu.
    Er gehorchte, um sich die Birne füllen zu lassen. Der Unterton des Dozenten machte klar, dass diese unzähligen weichen Birnen vor ihm hohl waren, lauter hohle Birnen, und die sollten nun mit seinem wunderbaren Wissen gefüllt werden.
    Die andern Dozenten waren nicht so. So grob war nur der da. Aber deswegen waren die andern nicht besser. Sobald sie den Mund öffneten, schepperte es einfach los aus ihnen, wie aus ferngesteuerten Robotern. Aus Blech kommt Blech. Und sie sprachen mit Wörtern, die schon tot waren, bevor sich einer sie ausgedacht hatte. So war das mit der Kriminalistik.
    Bei der Arbeit war es ganz anders.
    Fertig mit Blechsprache, da wurde wieder alles lebendig. Blutig und heftig.
    Im Unterricht kam es vor, dass man die wirkliche Welt vergaß. Da kamen diese ungeheuren Walzen von Informationen angerollt, Tsunami-Wellen des Wissens, die Spuren von Schrecken und Elend in den Köpfen und Seelen hinterließen. Irgendwann tauchte man wieder auf, hustend und spuckend. Total erschöpft. Das war ja nur das eine. Das, was die Dozenten so von sich gaben. Wenn man früh genug daran dachte, konnte man die Öffnung zur Birne etwas verengen.
    Dann kam sofort weniger herein. Nur das, was man wollte. Ganz sicher sofort weniger Schrott.
    Zugegeben, ab und zu sonderten diese Typen auch mal etwas Brauchbares ab. Zum Beispiel die Tatsache, dass das Gehirn in der Sekunde Millionen von Eindrücken zu verarbeiten hatte. Millionen! Das musste man sich doch einmal vorstellen. Aber wer konnte sich so etwas überhaupt irgendwie vorstellen? Das war der reine Alptraum. Millionen von Eindrücken, und in den gleichen Sekunden juckte ein Dozent vorne beim Pult hin und her, jagte seine Folien über die Leinwand und redete und redete und redete, in der tiefsten Überzeugung, dass die Anwesenden an seinen Lippen hingen und mit ihm durch seine Gedankenwelt stürmten. Diese Spinner.
     
    Nino versuchte, diesen Gedanken zu verscheuchen, denn die Vorstellung allein hatte zur Folge, dass er sich auf der Stelle erschöpft und kraftlos fühlte.
    Um das zu überleben, musste man, wie gesagt, einen kleinen Schalter kippen, Birne verengen und die Dozenten reden lassen. Doch, wie gesagt, es kam vor, dass es sich lohnte zuzuhören. Zum Beispiel das mit den Millionen von Eindrücken pro Sekunde; das war doch mal etwas Wesentliches. Etwas für das Leben.
    Ja, Birne verengen, das musste sein in der Not. Aber gleichzeitig ließ ihn der Gedanke daran zappeln vor Angst, dass er dann ganz sicher genau das Wesentliche nicht packte, weil ihn mit dem Wesentlichen zugleich der ganze überflüssige Informationsmüll wie ein Jahrtausend-Hochwasser überflutete.
    Und es gab nichts dagegen, nein, dagegen konnte man nichts tun. Außer eben surfen. Auf elektronischen Wellen natürlich. Wirklich surfen wäre zu anstrengend. Das Leben allein war schon ungeheuer anstrengend. Da blieb keine Rest-Energie für Späße wie Sport.
     
    Mona war das egal. Sie mochte Muskeltypen sowieso nicht. Nein, sie schaute diese Kerle gar nicht an, vor denen Nino sich insgeheim fürchtete. Die seine Rivalen sein könnten. Die waren Luft für sie.
    Da hatte er Glück gehabt.
    Er liebte Mona und begriff manchmal nicht, warum sie sich so sehr für ihn interessierte.
    Nur, alle diese Scheißinformationen, die das Leben auf ihn abfeuerte, und er konnte nichts damit anfangen.
    Nore Brand war anders als er. Sie schien den Zugang zu ihrer Birne an der richtigen Stelle im richtigen Ausmaß verengt zu haben. Sie ließ sich nicht gleich umhauen von all den Eindrücken. Die Dinge schienen in sie hineinzutröpfeln, so wie eine chemische Flüssigkeit, bereits verdichtet in der richtigen Konzentration. Dann konnte sie gleich etwas damit anfangen.
     
    Bei ihm war das anders. Da geht man durchs Museum, ohne sich etwas dabei zu denken. Man sieht immer nur Alexander, Alexander den Großen und all dieses uralte Zeugs in massiven Glasvitrinen. Das Zeug würde in Asche und Staub zerfallen, wenn die Luft der modernen Zeit drankommen würde. Kein Wunder. Dieser Luft würde auf die Dauer nichts standhalten. Gar nichts. Und dann: Tschüss, liebe Welt. Das wär’s gewesen. Puff und vorbei.
    Aber da war er eben dabei, sich vorzustellen, wie dieses Zeug von Alexander wohl riecht, und genau in dem Moment haut ihn ein Geruch um, weil dieser Geruch nicht in dieses piekfeine Museum gehört.
    Dieser Geruch gehörte in die Felsenkaverne von Matten.
    Und dann

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