Stollengefuester
du deine Finger mitgetoastet.«
»Hm«, sagte sie und kaute weiter. »Der Wirt war auf jeden Fall schnell da.«
»Der Ärmste dachte wohl, dass du sein Hotel abfackelst.«
»Nein. Er hat mir einfach gezeigt, wie man damit umgehen muss. Kurz und kräftig draufschlagen, wenn das Brot schön braun ist. Raffinierte Technik. Man muss nur eingeweiht sein.«
Nino betrachtete den Toaster. »Dieser Apparat hat mindestens zwei Weltkriege überlebt. Wie ist der Kaffee?«
»Sehr gut.«
Der Frühstücksraum war hoch, an den Mauern dunkles Holzpaneel. Das Fenster ging auf einen grünen Dschungel, dunkelgrüne dickblättrige Pflanzen und Büsche verstellten den Blick in den nächsten Hinterhof.
Und Bilder, überall, wo sich die Möglichkeit dazu geboten hatte, hatte jemand ein Bild von van Gogh hingehängt. Es sah aus, als ob jemand einen Bildband auseinandergerissen und die einzelnen Seiten mit Reißnägeln an die Holzwände gepinnt hätte.
Nino folgte ihrem Blick.
»Van Gogh. Originell, was?«
»Das soll die Gäste daran erinnern, dass man das eine oder andere Museum besuchen müsste.«
»Müsste«, wiederholte er. »Gestern habe ich gelesen, dass seine Landsleute herausfinden wollen, ob er verrückt gewesen sei oder nicht. Dazu haben sie eine Ausstellung gebastelt. Auf dem Plakat steht, er selber habe nicht gedacht, dass er verrückt sei. Erstaunlich. Findest du nicht?«
Er lachte.
»Wenn so einer der Ansicht war, nicht verrückt zu sein, dann ist das doch der Beweis dafür, dass er es war.«
Er schaute Nore erwartungsvoll an.
Sie betrachtete das Bild, das über ihrem Tisch hing.
»Spielt es eine Rolle, ob er verrückt war oder nicht?«
»Für uns nicht, für ihn schon. Ich gehe lieber unter in der Weltgeschichte, ohne Namen und ohne Werk, als dass mich einer irgendwann für verrückt erklärt. Ohne dass ich etwas dagegen tun kann.«
»Heute ist es aber eher so, dass man alle diejenigen für verrückt erklärt, die seinen Namen nicht kennen.«
»Dann hat er eben Glück gehabt.«
Nino verfiel in Grübeleien.
»Es ist doch wunderbar, dass die Geschichte Ungerechtigkeiten korrigiert«, nahm Nore Brand den Faden wieder auf.
»Bitte, nein«, flehte er, »heute will ich nichts von Geschichte wissen.«
Er schob die Brille zurück.
Diese verdammte Brille! Sie war zu groß. Aber er hatte keine Wahl. Die Augen schmerzten und die Brille war noch schief dazu. Auch die Erdachse war schiefer als sonst schon, und die Häuser in Amsterdam hatten das bemerkt und bereiteten sich auf noch schiefere Zeiten vor. Dass die Erdrotation sich durch die zunehmende Schräglage auch noch beschleunigte, war doch ziemlich beunruhigend. Eines Tages würde alles, was sonst an diesem Planeten haftete, ins All hinausfliegen.
Und die ganze Weltgeschichte damit.
Nore Brand schaute ihn an. »Was gibt’s zu lachen?«
»Amsterdam liegt voll im Trend. Ich begreife endlich, warum die Häuser hier so schief stehen. Die haben einen Vorsprung auf die physikalische Entwicklung des Universums.«
Nore Brand hielt inne mit Kauen.
»Mir scheint, du brauchst heute ein bisschen Schonung.«
Er grinste und wurde dann auf einen Schlag ernst.
»Du planst den Tag?«
»Ja, wenn ich die Tasse leer habe, gehen wir ins Museum. Ich will wissen, was mit Plodowski los ist. Und dann fahren wir nach Hause. Oder besser, direkt ins Simmental hinauf. Plodowski hat mir zu verstehen gegeben, dass wir die Antwort nur dort finden. Er weiß etwas.«
»Also ist er kein …«
Plötzlich stand der Wirt an ihrem Tisch.
»Sorry, dass ich Sie beim Frühstück störe. Aber Sie haben Besuch. Von der Polizei, fürchte ich. Von Kollegen, habe ich eben erfahren.«
Hinter ihm tauchte ein mittelgroßer, rundlicher Mann auf. »Commissaris Willem Cornelius Couperus«, stellte er sich vor, »mit erweitertem Auftrag.«
Commissaris Couperus trug eine Brille mit hellvioletten Bügeln. Seine hohe Stirn verlor sich mitten auf seinem runden Schädel unter einem graublonden Haarbusch. Es gab Biersorten, die ihre Etiketten mit Mönchsgesichtern dieser Art schmückten. Freundlich, rotwangig, den Genüssen des Lebens jederzeit zugeneigt.
Kaum hatten sie sich wieder hingesetzt, eilte der Wirt mit einer weiteren Tasse Kaffee herbei.
Nino Zoppa starrte seinen holländischen Kollegen an. Dann riss er erschrocken seine Sonnenbrille von der Nase.
Couperus amüsierte sich. »Bist du zum ersten Mal hier?«
Nino nickte.
Couperus lachte dröhnend. »Das sieht man dir an. Aber du bist
Weitere Kostenlose Bücher