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Stolperherz

Stolperherz

Titel: Stolperherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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keine Frage, denn er hatte mir direkt in die Augen gesehen.
    *
    Ich hatte die Tatsache unterschätzt, dass es viel intimer war, mit nur einer Person neben einem zu übernachten, als zusammengepfercht eng aneinander mit ganz vielen Leuten. Greg hatte es sich auf dem Fahrersitz bequem gemacht und sich eine von den Decken genommen, mir hatte er auch zwei hingelegt. Ich wickelte mich so gut es ging in die eine ein, damit ich die andere wie eine Art Zelt benutzen konnte und über meine Beine aufschlagen konnte, die ich nah an meinen Körper gezogen hatte. Meine Füße steckten im offenen Handschuhfach, meine Chucks hatte ich angelassen. Ich war noch nie mit einem Jungen alleine in einem Raum gewesen, erst recht nicht in einem Auto, und schon gar nicht so nah. Das alles fühlte sich irgendwie komisch an, obwohl ich wusste, dass Greg spätestens in zwei Minuten eingeschlafen sein würde und sich nicht darum scherte, wer da neben ihm saß.
    Und doch war es ein unglaublicher Gedanke, so unglaublich, dass ich ihn fast nicht zulassen konnte: Ich saß neben Greg, dem schönsten Mann dieses Planeten, mitten in der Nacht und ganz alleine in einem Auto. Zwischen uns passte kaum ein Blatt Papier, so nah war er. Wenn ich wollte, könnte ich die widerspenstige Locke, die ihm in die Stirn gefallen war, später wegstreichen, wenn er eingeschlafen war. Ich könnte ihn die ganze Nacht ansehen, denn der Mond schien wie eine große Taschenlampe in das Fahrercockpit.
    Ich versuchte so leise wie möglich zu atmen, aber es gelang mir nur sehr schwer. Die Stille, in der ich jeden seiner gleichmäßigen Atemzüge hören konnte, machte mir etwas zu schaffen. Es war eine sternenklare Nacht und ich konnte ganze Sternenkonstellationen erkennen, auch wenn ich mich nicht mehr an die einzelnen Namen erinnern konnte. Paps hatte sie mir in mühevoller Kleinarbeit zu meinem zehnten Geburtstag aufgemalt, beschriftet und sogar mit Eselsbrücken versehen, damit ich sie mir merken konnte. Ich hatte damals Sofies Welt gelesen und war auf einem seltsamen Universums-Philosophie-Trip gewesen, mit dem Lisa so gar nichts anfangen konnte. Aber Paps schon und ich hatte mich darüber sehr gefreut damals, das wusste ich noch. Aber irgendwo auf dem Weg von Sofies Welt in meine musste diese Zeichnung abhandengekommen sein, und ich wusste nicht mal, wann das gewesen war. Ich wunderte mich, dass ich gerade jetzt daran denken musste, aber ich hätte sie in diesem Augenblick so gerne bei mir gehabt, um den glitzernden Gebilden über mir Namen zu geben. Paps hätte sich über mich gebeugt, mit dem Zeigefinger die unsichtbaren Verbindungen zwischen den Sternen nachgezeichnet und mir mit seiner sanften Stimme erklärt, warum dieses Sterngebilde gerade so hieß und wie viele Lichtjahre es von uns entfernt war. Mein Vater wusste so ziemlich alles, egal was ich ihn fragte, auf jeden Fall hatte er immer eine Antwort parat. Und wenn das mal nicht so war, dann hatte er spätestens von seiner nächsten Reise das passende Buch dazu mitgebracht, und wir hatten gemeinsam eine Antwort auf meine Frage gefunden.
    Ach Paps … Ich kam mir kindisch vor, dass ich ihn vermisste, hier zusammengekauert mitten in der Nacht neben diesem wunderschönen Jungen. Unzählige Mädchen würden mich um dieses Privileg beneiden. Und ich saß hier und dachte an meinen Vater, dessen Stimme ich schon viel zu lange nicht mehr gehört hatte, und kam mir vor mir selbst peinlich vor.
    »Kannst du nicht schlafen?« Greg sah mich verschlafen an.
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Warum?«, fragte er leise. »Doch nicht etwa Heimweh?«
    Ich war dankbar für die schwache Beleuchtung um mich herum, denn ich lief sicherlich sofort wieder rot an, wie immer, wenn ich mich ertappt fühlte.
    »Quatsch«, tat ich seine Vermutung so lässig wie möglich ab, »keine Ahnung wieso.«
    »Ist nicht verwerflich, Heimweh zu haben«, sagte Greg und setzte sich auf.
    »Hm.«
    Er rieb sich die Augen. »Lust auf ein bisschen Abenteuer?«, fragte er und sah mich eindringlich an.
    »Äh …«
    »Nicht, was du jetzt denkst«, sagte er und lachte laut auf.
    »Okay«, antwortete ich.

9. KAPITEL: F LIEGEN
    »Steig aus.«
    Ich sah Greg verständnislos an. War das jetzt ein Scherz? Oder wollte er mich einfach nur loswerden? Was sollte das bedeuten? »Na los, steig schon aus«, wiederholte er und knuffte mich in die Seite. Ich wollte mich nicht blamieren, aber auch nicht kindisch nachfragen, also wickelte ich mich aus dem Deckenkonstrukt,

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