Stolz der Kriegerin
gesehen. Du musst mindestens einen Kopf größer sein als ich und auch einiges breiter«, antwortete Rogon lächelnd.
Tirahs Geist sandte etwas aus, das ein Lachen sein sollte. »Wenn du mich sehen könntest, wärst du wahrscheinlich enttäuscht. Ich dürfte nur gut eine Handbreit größer sein als du, und ich bin auch nicht so wuchtig gebaut, wie man sich die Amazonen von Mar vorstellt. Wenn man es genau nimmt, bin ich arg aus der Art geschlagen. Wir waren bei meiner Geburt zu zweit, und im Vergleich zu meiner Schwester sah ich arg schwächlich aus, dass einige um mein Leben fürchteten. Während sie beim Heranwachsen immer mehr unserer Mutter glich, wuchs ich mich nicht gerade zum Bild einer Mar-Kriegerin aus.
Sirrin hat meine Kräfte erkannt, sich meiner angenommen und mich ausgebildet. Von ihr kam auch der Rat, nach dem Tod der Mutter meiner Schwester den Vortritt zu lassen, obwohl ich die Ältere von uns beiden war, und nach deren Tod den Thron meiner Nichte zu überlassen.«
»In Andhir wird jetzt wahrscheinlich meine Schwester Rhai Vater nachfolgen«, antwortete Rogon.
»Bedauerst du es?«, wollte Tirah wissen.
Der junge Mann schüttelte den Kopf, obwohl sie es nicht sehen, sondern nur fühlen konnte. »Nein! Nur manchmal bin ich traurig, wenn ich daran denke, dass ich bei Nacht und Nebel fortgegangen bin und meine Eltern und meine Schwestern nicht wissen, was aus mir geworden ist.«
»Wenn wir in eine belebtere Gegend gelangen, wird es dir möglich sein, ihnen eine Nachricht zukommen zu lassen. Nun aber haben wir die Grenze des Ödlandes fast erreicht. Ich spüre bereits Sperrartefakte, die die Giftmagie dieses Ortes von den angrenzenden Ländern fernhalten sollen. Wenn alles gutgeht, werden wir heute in Pilltark zu Abend essen.«
Nun spürte Rogon es auch. Die starken, magischen Ströme, die bislang frei über das Land gezogen waren, wurden nur wenige Meilen weiter südlich wie von einer Mauer aufgehalten und gezwungen, sich westwärts zu wenden.
Er ging schneller, denn er war froh, dieses Gebiet hinter sich lassen zu können, obwohl er den Marsch, wie Tirah mit einem gewissen Neid erklärte, besser überstanden hatte, als sie selbst es vermocht hätte.
»An dir ist mehr dran, als man annehmen könnte, Kleiner. Für mich ist es kein Zufall, dass du die Enge Andhirs hinter dir gelassen hast, um die Welt zu erkunden. Wer weiß, welches Schicksal dir bevorsteht. Nun aber sollten wir als Erstes nach Sirrin suchen. Sie wird einen Weg wissen, uns wieder zu trennen!«
»Hoffentlich!«, knurrte Rogon.
Es schwang sogar ein wenig Trauer in diesem Wort mit, denn er hatte sich in den wenigen Tagen an Tirahs Anwesenheit gewöhnt und es angenehm empfunden, jemand zu haben, mit dem er frei reden konnte. Er rief sich jedoch rasch wieder zur Ordnung. Für Tirah war es gewiss kein schönes Gefühl, in einen fremden Körper eingesperrt zu sein und weder entscheiden zu können, wohin sie ging noch wo sie sich am Abend zur Ruhe legen sollte.
Kurze Zeit darauf erreichten sie die Grenze des vergifteten Gebietes. Herrschten auf dieser Seite noch Dornbüsche und andere Stachelgewächse vor, erstreckte sich jenseits ein weites, hügeliges Land mit blauen Bäumen und blauem Gras. Nicht weit entfernt entdeckte Rogon ein größeres Dorf und ging unwillkürlich darauf zu.
Pilltark gehörte der blauen Stammtafel an und wurde ebenfalls von Wardan bewohnt. Dennoch sah das Land anders aus als Andhir. Die Menschen hier waren hochgewachsener, wenn auch nicht so groß und so breitschultrig wie Tawaler, und sie trugen mehr oder weniger natürliche blaue Linien im Gesicht, wie Rogon sie bereits bei Prinzessin Dalarianah kennengelernt hatte. Die Pilltarker sahen dies als ein Zeichen ihrer Abkunft von Damen des Blauen Landes und blauen Gestaltwandlermagiern an und dünkten sich daher als etwas Besseres als die übrigen Wardan.
Da normalerweise keine Reisenden aus den Ödlanden kamen, sah Rogon sich vielen neugierigen Blicken ausgesetzt. Er kümmerte sich jedoch nicht um die Gaffer, sondern ging auf eine Taverne zu, die dem Aussehen nach zu dem großen Gutshof gehörte, welcher das ganze Dorf beherrschte, und trat ein.
Die Wände und die Decke der Gaststube waren mit Holz verkleidet, das in verschiedenen Blautönen schimmerte und ein wenig an die Gesichtszeichnung der Pilltarker erinnerte. Am anderen Ende stand die Schanktheke, daneben befanden sich zwei Fässer. Eine kompakte Frau mittleren Alters füllte gerade einen Krug für einen
Weitere Kostenlose Bücher