Stolz der Kriegerin
der vier Gäste, die an einem Tisch zusammensaßen.
Obwohl dort noch Platz gewesen wäre, wählte Rogon einen freien Tisch und ließ sich dort nieder. »Einen Becher Marangree-Wein, am besten von den Südhängen aus Mar«, forderte er von der Wirtin und merkte erst hinterher, dass Tirahs Gedanken seine Zunge geführt hatten. Ähnlich war es bereits in dem Tempel in den Ödlanden gewesen, als ihr Wille, nach Süden zu gehen und gegen die Grünen zu kämpfen, seine Schritte gelenkt hatte. Noch während Rogon darüber nachdachte, schüttelte die Wirtin den Kopf.
»Wenn du Marangree-Wein haben willst, musst du schon in die Provinzhauptstadt gehen oder besser noch nach Pilltarkrah. Ich habe nur den Wein, den wir selbst keltern.«
»Dann gib mir einen Becher davon und etwas zu essen«, antwortete Rogon.
»Ich hätte noch gekochten Schweinekopf in Minzenkraut-Soße«, bot die Wirtin an.
Rogon nahm wahr, wie Tirah im Geist ihre Lippen verzog, und schüttelte den Kopf. »Gib mir Brot und kalten Braten, oder wenn du den nicht hast, ein Stück harte Wurst.«
»Kannst du alles haben!« Die Wirtin verschwand in der Küche. Dafür wandten jetzt die vier Männer am Tisch ihre Aufmerksamkeit Rogon zu.
»Bist wohl fremd hier, was?«, fragte einer.
»So könnte man sagen«, antwortete er.
»Wohl auf der Reise, was?«
»Könnte man sagen!«
»Bist du etwa aus den Ödlanden gekommen?«
»Ja!«
»Kein gutes Gebiet dort. Von uns geht keiner freiwillig hinein, und zwingen dazu lässt sich hier keiner. Bist du nicht krank geworden?«
»Nein!«
»Kann aber noch kommen. Man sagt, die Schäden treten oft erst nach Tagen auf.«
»Glaube ich nicht!«
In Andhir hatte sein Rang Rogon vor der Neugier der Menschen geschützt, und niemand hätte gewagt, ihn einem solchen Verhör zu unterziehen. Daher beschränkte seine Antwort sich allmählich auf ein kurzes Brummen. Die Pilltarker gaben jedoch nicht auf, und als die Wirtin Rogon einen Becher Beerenwein und einen Holzteller mit Brot, Fleisch und Wurst hinstellte, fragten sie, wie ihm das Essen schmeckte.
Er begriff, dass sie die Erzeugnisse ihres Landes gelobt sehen wollten, doch der kalte Braten roch so durchdringend nach Minzenkraut, dass vom Fleischgeschmack nichts übrig blieb. Auch bei der Wurst hatte die Wirtin nicht damit gespart. Gewohnt, dass in Andhir dezenter mit Minze gewürzt wurde, musste Rogon sich zwingen, die Mahlzeit herunterzuwürgen.
»Irgendwie ist Pilltark nicht das Land, in dem ich lange bleiben will«, meinte er in Gedanken zu Tirah.
»Sie müssen es bei allem übertreiben«, antwortete sie. »Aber halte ihnen zugute, dass sie in dieser abgelegenen Gegend nichts anderes als ihr Minzenkraut zum Würzen haben. In der Provinzhauptstadt oder gar Pilltarkrah dürfte man gewiss besser speisen als hier.«
Rogon steckte seufzend den letzten Bissen Fleisch in den Mund, als von draußen Geschrei und das klatschende Geräusch von Peitschenhieben ertönte.
»Dir werde ich es zeigen, du Diebin!«, hörte er eine aufgebrachte Stimme, während eine andere verzweifelt rief, sie wäre es nicht gewesen.
Mit einem Satz war Rogon auf den Beinen und eilte nach draußen. Auf dem Vorplatz des Gutes standen eine Menge Leute um zwei Frauen herum. Eine der beiden war mit einem wallenden blauen Gewand bekleidet und hatte ihre blau gefärbten Haare mit einem großen Kamm aus Blauholz aufgesteckt. Zwar war die Frau unzweifelhaft eine Dame von Stand, prügelte aber eher undamenhaft auf eine Magd in einem mattblauen Kittel ein. Diese hielt die Arme über den Kopf, um ihr Gesicht vor den Peitschenhieben zu schützen.
»Du Diebin!«, kreischte die Adelige. »Du hast meine beste Brosche gestohlen. Dafür wirst du mir büßen!« Jedes ihrer Worte wurde von einem weiteren Schlag begleitet.
Rogon sah weiter hinten einen Mann in engen Kniehosen, langem Rock und Dreispitz stehen, der wohl der Gatte der Edeldame war, es aber nicht wagte, dieser Furie in den Arm zu fallen.
»Misch dich nicht ein!«, warnte Tirah noch, doch da war Rogon mit ein paar Schritten bei der tobenden Frau, packte ihren Arm und wand ihr die Peitsche aus der Hand.
Während diese ihn verdattert anstarrte, traf ihn ein dankbarer Blick der Magd. Für einen Moment glaubte er tief in sie hineinzuschauen und spürte ihre Verzweiflung und das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden.
»Sie ist unschuldig!«, entfuhr es Rogon.
Die Edeldame stemmte ihre Hände in die Hüften und sah ihn höhnisch an. »So? Und wer soll sonst
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