Stolz und Leidenschaft: Roman (German Edition)
der Tore Eurer Burg liegt die wirkliche Welt, eine Welt, die nicht nur schwarz und weiß ist, so wie Ihr es gerne hättet, sondern viel komplizierter. Bevor Ihr
Euch so vorschnell ein Urteil bildet, vergewissert Euch lieber, dass Ihr die Tatsachen kennt.«
Stur straffte sie die schmalen Schultern und wandte sich von ihm ab. »Ich weiß alles, was ich wissen muss.«
Ihre ungerechtfertigte Zurückweisung sollte ihn eigentlich nicht stören, doch das tat sie. Es kam häufig genug vor, dass er so wie von ihr verurteilt wurde, aber irgendwie fühlte es sich bei diesem Mädchen anders an. Er packte sie am Arm, wirbelte sie zu sich herum und riss sie an seine Brust. Eine Welle aus Hitze und Wut durchzuckte ihn. Sie zappelte in seinem Griff, doch er hielt sie fest. Ganz gleich wie, sie würde ihm zuhören. »Und was ist mit Euch, Caitrina? Was wollt Ihr? Mehr Männer, die Eurer Schönheit schmeicheln? Mehr Juwelen und kostbare Gewänder?«
Empört schnappte sie nach Luft. »Ich habe keine Ahnung, wovon Ihr sprecht!«
»Ich weiß, dass Euer Vater Euch keinen Wunsch abschlagen kann, dass Ihr wie eine Königin gekleidet herumstolziert – sogar hier in den Ställen –, aber dass die Fehde von Eurem Clan ihren Tribut fordert.« Sein Blick glitt von ihrem feinen Seidenkleid zu den rostigen Werkzeugen, die aufgereiht an den verblichenen, gekalkten Wänden hingen, und er sah, wie die Erkenntnis sie unvermittelt traf. »Ich weiß, dass Ihr jeden Mann zurückweist, damit Ihr die Sicherheit und Bequemlichkeit Eures kleinen Königreichs nicht verlassen müsst. Ich weiß, dass Euer Vater schon seit vielen Jahren verwitwet ist und dennoch nicht wieder geheiratet hat. Warum, glaubt Ihr, ist das so, Caitrina? Ist es vielleicht deshalb, weil er befürchtet, dass er Euch damit verärgert und die Stellung gefährdet, die Ihr Euch in seinem Haushalt angeeignet habt?«
Sie zuckte zusammen, als habe er sie geschlagen. Es war offensichtlich, dass noch nie jemand so mit ihr gesprochen hatte. »Das ist nicht wahr!«, zischte sie mit glühend roten
Wangen, und ihre bezaubernden Brüste hoben und senkten sich heftig. Doch er sah den Funken Verunsicherung in ihren Augen.
Er hatte genug gesagt, deshalb ließ er sie los, trat einen Schritt zurück und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, um sich Gelegenheit zu geben, sich wieder zu beruhigen. Er hatte nicht so hart mit ihr sprechen wollen, aber die barsche Zurückweisung seines Antrags – eines Antrags, dem er nicht einmal ernsthaft nachgehen wollte – hatte seinen Zorn angestachelt. Ihre Vorurteile den Campbells gegenüber waren in den Highlands nur allzu verbreitet, aber dieses Mädchen mit ihrer kühnen Zunge und ihren naiven Anschuldigungen hatte seinen Schutzpanzer durchbrochen wie niemand sonst.
Mit langen Schritten ging er auf die Tür zu, dann drehte er sich noch einmal zu ihr um. Sie stand wie versteinert da, mit blassem Gesicht und an den Seiten geballten Fäusten. Stolz und stark, aber überraschend zerbrechlich. Seine Worte hatten ihre Spuren hinterlassen. Er verspürte einen schuldbewussten Stich, das Bedürfnis, sie zu trösten, aber schnell verdrängte er das Gefühl wieder. Er hatte die Wahrheit gesagt, und es war höchste Zeit, dass Caitrina Lamont sie hörte. Ihr Vater tat ihr keinen Gefallen damit, sie über die Probleme und Unruhen in den Highlands im Unwissenden zu lassen. Wenn Jamies Verdacht in Bezug auf Alasdair MacGregor sich bestätigte, dann würde die wirkliche Welt bald genug über sie hereinbrechen.
5
I mmer noch gereizt nach seiner Auseinandersetzung mit Caitrina beschloss Jamie, in die Burg zurückzukehren, anstatt sich den anderen bei den Wettrennen am Loch anzuschließen. Er war schon früh an diesem Morgen ausgeritten, und abgesehen von ein paar Haferkeksen und einem Stück Trockenfleisch zum Frühstück hatte er den ganzen Tag noch nichts gegessen. Als er den Burghof überquerte, sah er überrascht den Chief der Lamont aus der Burg die Treppe herunter- und auf ihn zukommen.
Jamie begrüßte ihn mit einem Nicken. »Lamont. Ich dachte, Ihr wärt unten bei den Wettrennen.«
»Ich hatte andere Angelegenheiten, um die ich mich kümmern musste.« Abschätzend musterte der ältere Mann sein staubiges und vom Wind zerzaustes Aussehen. »Ihr seid heute Morgen schon zeitig aufgebrochen.«
»Meine Männer und ich beschlossen, ein wenig zu jagen.«
»Und wart Ihr erfolgreich?«
Auch wenn die Frage dem Anschein nach unverfänglich war, spürte Jamie den kaum
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