Stolz und Leidenschaft: Roman (German Edition)
schwierig war, die eigene Hand vor den Augen zu sehen. Dennoch war Jamies Ankunft nicht unbemerkt geblieben.
Er hatte erwartet, dass Argyll, begierig auf Neuigkeiten
von seiner Suche, ihn umgehend begrüßen würde. Doch es war nicht sein Cousin, der ihn in Empfang nahm. Es war sein Bruder. Argyll war der Verwalter der königlichen Burg Dunoon, aber Jamies Bruder Colin – als Chieftain des Zweigs der Campbell of Auchinbreck – war Hauptmann der Burg. Kaum hatte Jamie sein Pferd in den Stall gebracht, trat sein Bruder ihm in den Weg, als er den Burghof überquerte und zum Wohnturm ging.
Colins plötzliches Auftauchen überraschte ihn. Zu seinem Bedauern hatten sie sich nie nahegestanden. Als Jamie noch jung gewesen war, vor dem Tod ihres Vaters, war es Duncan gewesen, zu dem er immer aufgesehen hatte. Duncan . Er versteifte sich. Selbst nach all diesen Jahren war die Bitterkeit über Duncans Verrat noch frisch. Nachdem Duncan aus Schottland geflohen war, hatte Argyll – oder Archie, wie Jamie ihn damals genannt hatte – seinen Platz eingenommen. Jamie stand Argyll so nahe, wie man einem Mann in seiner Position nur nahestehen konnte, doch Macht und Autorität waren einsame Weggefährten. Etwas, das Jamie nur zu gut am eigenen Leib erfahren hatte.
Als Jamies Rolle als Argylls stellvertretender Kommandant wuchs und eine Mauer zwischen ihm und den Freunden seiner Jugendzeit errichtete, wäre es schön gewesen, einen Bruder zu haben, auf den man sich verlassen konnte – dem man vertrauen konnte. Doch er und Colin, so schien es, waren sich stets uneins. Zum Teil aus Missgunst, vermutete Jamie, und zum Teil wegen des Charakters seines Bruders. Colin stand niemandem sehr nahe.
»Ich hörte, dass du angekommen bist«, sagte Colin. »Scheint so, als hätte dich dein Bauchgefühl diesmal getäuscht, kleiner Bruder.«
Zwar bestand eine gewisse Ähnlichkeit in ihren Gesichtszügen und ihrer Haar- und Augenfarbe, aber Jamie war fast vier Zoll größer und hatte erheblich mehr Muskeln als Colin;
trotzdem verzichtete er darauf, darauf hinzuweisen, dass die Bezeichnung ›kleiner Bruder‹ deshalb lächerlich klang. Denn es war unwahrscheinlich, dass der schnell beleidigte Colin diese Ironie verstehen würde.
Jamie war der leicht selbstgefällige Tonfall in der Stimme seines Bruders nicht entgangen. »Ich bin nicht in der Stimmung für deine Ratespiele, Colin. Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann tu es. Entweder das oder geh mir aus dem Weg, damit ich den Earl finden kann.«
»Er ist nicht hier. Er wurde auf Inveraray aufgehalten, aber wir erwarten ihn bald.«
Jamie runzelte die Stirn. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
Argyll hatte im letzten Jahr seine Frau nach der schweren Geburt seines Erben verloren, und das hatte ihn hart getroffen. Die Schwierigkeiten mit den MacGregors waren ebenfalls nicht gerade hilfreich, denn der König machte ihn für deren fortgesetzten Ungehorsam verantwortlich.
Colin schüttelte den Kopf. »Die Amme, die sich um den jungen Archie kümmern sollte, ist davongelaufen, deshalb musste er eine andere Amme finden.«
Nachdem sie den barmkin überquert hatten, stiegen sie die Außentreppe zum Wohnturm hoch. »Also, was ist es, das du mir offensichtlich so dringend erzählen willst?«
Colin lächelte. »Ich bin überrascht, dass du es noch nicht selbst gehört hast«, meinte er lässig. »Wie es scheint, ist Alasdair MacGregor nicht einmal in der Nähe der Isle of Bute. Er wurde in der Nähe von Loch Lomond gesichtet.«
Jamie runzelte die Stirn. »Wie kannst du dir sicher sein, dass er es ist?«
»Der MacLaren-Chief schrieb an Argyll und bat ihn um Hilfe, seine Ländereien gegen wiederholte Überfälle zu verteidigen – er schwört, dass es niemand anderes als Alasdair MacGregor ist, der seine Leute angreift. Es gab zahlreiche Vorfälle auf der Straße nahe Stirling, und es gehen Gerüchte
um, dass MacGregor zu den Braes of Balquhidder zurückgekehrt ist.«
Das würde einen Sinn ergeben, dachte Jamie. Es war nicht das erste Mal, dass MacGregor versucht hatte, sich auf dem Land der MacLaren niederzulassen. Doch es schien zu offensichtlich zu sein. Jamie war davon überzeugt gewesen, dass MacGregor nach Bute gegangen war, doch nun erfasste ihn eine Welle der Erleichterung. Um Caitrina und ihrer Familie willen war er froh darüber, sich geirrt zu haben.
Und da war er nicht der Einzige. Colin empfand offensichtliche Freude daran, Jamie bewiesen zu haben, dass er sich geirrt hatte. Jamies
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