Stolz und Verfuehrung
leicht, sich auf Lady Fortemain zu konzentrieren, wenn die Gefahr sich mit beinahe tödlicher Eleganz näherte.
Lady Fortemain hatte Ems Handgelenk immer noch wie ein Greifvogel umklammert und starrte ihr fest in die Augen. »Meine Liebe, ich weiß, es ist sehr kurzfristig, aber ich wäre überaus erfreut, wenn Sie und Ihre Schwester, ich glaube, jemand erwähnte, sie sei dreiundzwanzig, morgen am Nachmittagstee auf Ballyclose teilnehmen würden. Die Pfarrgemeinde versammelt sich regelmäßig zu diesem Anlass.«
Die Lady ließ Em los und lächelte ermutigend. »Die Rolle der Gastgeberin des Nachmittagstees gehörte schon immer zu den Pflichten der Herrin von Ballyclose. Meine Schwiegertochter ist die derzeitige Lady auf dem Anwesen. Eigentlich sollte sie dafür verantwortlich sein, aber sie ist so sehr mit ihrer Familie beschäftigt, dass ich ihr immer noch unter die Arme greife, wenn es möglich ist.« Der Blick der alten Dame wirkte sehr entschlossen, als sie Em wieder anschaute. »Ich würde es als persönliche Ehre empfinden, Sie beide auf Ballyclose zu sehen.«
Em setzte eine freundliche, unverbindliche Miene auf, wäh-rend ihre Gedanken sich überschlugen. Sie vermutete, dass Gastwirtinnen üblicherweise nicht an Nachmittagstees teilnahmen, noch nicht einmal dann, wenn es sich um Gemeindeversammlungen handelte. Und mehr noch, sie hatte beabsichtigt, sich in der Nachbarschaft denkbar unauffällig zu verhalten, wenn es schon nicht möglich war, ihre Anwesenheit ganz und gar zu verheimlichen. Aber offenbar war es ausgeschlossen, sich als Gastwirtin des Dorfes zu verdingen und gleichzeitig der allgemeinen Aufmerksamkeit zu entgehen.
Em machte sich keinerlei Illusionen darüber, warum Issy und sie eingeladen wurden - sie wären die Hauptattraktion, zumindest so lange, bis alle geladenen Gäste ihre Neugier befriedigt hatten -, doch trotz aller Schattenseiten gab es nach Gesprächen mit Tallent und verschiedenen Stammgästen immer noch unleugbare Hinweise darauf, dass Ballyclose Manor höchstwahrscheinlich den Schatz der Colytons barg.
Sie musste unbedingt herausfinden, ob es dort einen Keller, ein unterstes Gelass, gab. Und dann würde sie einen Weg finden müssen, die Kellerräume zu durchsuchen.
Das wenig förmliche Beisammensein zu einem Nachmittagstee könnte die perfekte Gelegenheit bieten, die nächsten Schritte in der drängenden Schatzsuche zu unternehmen.
Em sorgte dafür, dass ihre Miene sich aufhellte, und erwiderte Lady Fortemains Lächeln. »Vielen Dank, Mylady. Ich bin überzeugt, ich spreche auch für meine Schwester Isobel, wenn ich Ihnen versichere, wie sehr wir uns über die Einladung freuen.«
»Ausgezeichnet!« Lady Fortemain strahlte, als sie sich zurücklehnte. »Dann bis drei Uhr. Jeder im Dorf kann Ihnen den Weg zu uns zeigen.« Sie ließ den Blick an Ems linke Seite schweifen. »Jonas, mein lieber Junge!« Sie streckte ihm die Hand entgegen. »Ich habe zum Nachmittagstee der Kirchengemeinde eingeladen. Natürlich weiß ich, dass Gentlemen üblicherweise nicht dazugebeten werden, aber falls Sie trotzdem kommen möchten, würden wir uns freuen.«
Jonas lächelte das gewohnt unverbindliche Lächeln und beugte sich halb über die Hand der Lady. »Ich werde darüber nachdenken, Mylady.«
Ganz besonders, da seine Wirtin dort auch anzutreffen sein würde, wie es schien.
»Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen?« Besagte Wirtin nickte Lady Fortemain kurz und höflich zu, bedachte Jonas mit einem noch kürzeren Nicken und eilte weiter.
Nach ein paar freundlichen Worten mit Lady Fortemain folgte Jonas.
Natürlich versuchte Em, ihn zu entmutigen, indem sie von einer Frauengruppe zur nächsten schlenderte. Mit ihren glatten braunen Haaren, den haselnussbraunen Augen und dem braunen Kleid, das sie jetzt trug, erinnerte sie ihn an einen Sperling - der ihn, wie er vermutete, wie ein Habicht beobachtete.
Er lächelte versonnen, als er sich an ihre Fersen heftete. Wenn man bedachte, dass ihm das Gasthaus gehörte, konnte sie ihm kaum entwischen. Aber falls sie sich einbildete, dass sie ihn unter diesen Leuten in Verlegenheit bringen konnte, dann hatte sie sich geschnitten. Hier war sein Dorf, der Ort, an dem er geboren worden war und die meiste Zeit seines Lebens verbracht hatte. Jedes weibliche Wesen in der Gegend kannte ihn, und die Tatsache, dass er erst kürzlich nach jahrelangem Aufenthalt aus London zurückgekehrt war, ließ das Interesse an ihm nur noch mehr in die Höhe schnellen -
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