Stolz und Verfuehrung
hielt.
Die unsichtbaren Barrieren, die sie gegen ihn errichtet hatte, waren nur zu gut erprobt. Außerdem war sie zu misstrauisch, war sich die ganze Zeit über zu sehr darüber im Klaren, was alles passieren könnte.
Es störte Jonas, dass sie der Überzeugung war, misstrauisch und vorsichtig im Umgang mit Gentlemen sein zu müssen. Ganz besonders mit ihm. Es roch danach, als hätte sie ihre Unschuld verloren; allerdings nicht im eigentlichen Sinne, sondern ganz im alltäglichen Umgang mit den Herren, was seiner Auffassung nach sehr zu bedauern war.
Nun ... er konnte nicht bestimmen, wie, wo und warum sie mit unerwünschten Aufmerksamkeiten belästigt worden war ... Er wusste nicht, was passiert sein mochte, fühlte sich aber aus irgendwelchen Gründen getrieben, mehr darüber zu erfahren.
Fühlte sich getrieben ... wozu? Em zu verteidigen?
Zu seiner großen Überraschung konnte er diese Vermutung nicht von der Hand weisen. Und noch weniger das Gefühl, das dahintersteckte.
Was ihn ebenfalls ausgesprochen misstrauisch werden ließ.
Er trieb das Gespann weiter, hatte ihre angenehme, beinahe musikalische Stimme im Ohr und fragte sich, was er als Nächstes unternehmen sollte.
Fragte sich, was er wirklich wollte.
Und wie er es erreichen sollte.
Als die ersten Häuser von Colyton auftauchten, hatte er einen Entschluss gefasst.
Jonas hatte beschlossen, dass er sehr viel mehr über Miss Emily Beauregard in Erfahrung bringen musste. Er brauchte Antworten. Musste ihre Geheimnisse enthüllen.
Selbstverständlich würde sie sich weigern, den Schleier zu lüften.
Aber er hatte begriffen, dass er sie nervös machen konnte, indem er die körperliche Anziehung zwischen ihnen ins Spiel brachte.
Andererseits wollte er Em als Gastwirtin nicht verlieren. Wenn er bedachte, wie wirkungsvoll sie ihre Barrieren aufgebaut und mit welcher Willensstärke sie bisher ans Werk gegangen war, war er sich ziemlich sicher, dass sie, falls er sie zu sehr drängte, ohne zu zögern die Koffer packen und das Dorf verlassen würde.
Um ihn ebenso wie Colyton hinter sich zu bringen. Was auf keinen Fall geschehen durfte.
Jonas lenkte die Kutsche auf den Vorplatz des Gasthauses und brachte die Pferde zum Stehen, verließ den Wagen und durchbohrte sie förmlich mit einem Blick, der sie davor warnte, wieder zu springen.
Em wartete, schien allerdings unglücklich darüber. Für ihn hingegen war es offensichtlich, dass sie sich innerlich wappnete, seine Berührung möglichst ohne Reaktion zu überstehen.
Sie erhob sich, als er sich näherte. Dann streckte er die Hand nach ihr aus, umschloss ihre Taille und schwang sie nach unten.
Ließ sie aber nicht gehen.
Nicht sofort.
Er konnte nicht widerstehen, obwohl er sich redlich mühte, und gönnte sich einen Blick in ihre strahlenden braunen Augen, beobachtete ihre Reaktion, spürte ihren angehaltenen Atem.
Und er wusste, dass auch ihr der Augenblick, die Nähe, die aufflammende Hitze, nicht gleichgültig waren - ebenso wenig wie ihm.
Langsam atmete Jonas ein, zwang sich, sie loszulassen, zwang sich, einen Schritt zurückzutreten.
Er verbeugte sich, behielt sie aber genau im Blick. »Ich hoffe, Sie haben die Fahrt genossen. Guten Tag, Miss Beauregard.«
Em musste sich räuspern. Sie nickte. »Ja. Vielen Dank. Die Fahrt war sehr angenehm. Guten Tag, Mr Tallent.«
Sie nickte wieder, drehte sich um und eilte zur Tür.
Jonas schaute ihr nach, bis die dämmrige Gaststube sie verschluckte, schwang sich wieder auf die Kutsche, wendete das Gespann und machte sich zügig auf den Weg zum Gutshof.
Wenn Jonas es nicht riskieren wollte, Miss Emily Beauregard auf der Suche nach Antworten auf seine zahlreichen Fragen zu sehr zu drängen, dann musste er geschickt vorgehen und durfte keinesfalls ihre Grenzen überschreiten.
Das war eine ausgezeichnete Entscheidung. Aber dafür musste er zuerst herausbekommen, wo ihre Grenze verlief, wo der Punkt lag, an dem sie zurückschrecken und Hals über Kopf die Flucht ergreifen würde.
In der Hoffnung, seinem Ziel näher zu kommen und vielleicht sogar noch weitere zufällige Entdeckungen zu machen, besuchte Jonas am Abend das Red Beils.
Als er das Gasthaus betrat, erschrak er beinahe über die vielen Gäste, blieb unmittelbar hinter der Tür stehen und ließ den Blick schweifen.
Nicht die Tatsache, dass sich überhaupt Gäste im Schankraum aufhielten, war überraschend, sondern die Menge war es und deren Zusammensetzung, die seine Erwartung überstiegen. Der
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