Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
vor fünfundzwanzig Jahren erlitten hatte.
»Ich habe bestimmt nicht weniger als zwei Tage hintereinander geweint«, sagte sie, »als damals Oberst Millers Regiment versetzt wurde. Ich dachte, mir würde das Herz brechen!«
»Meins ist schon beinahe gebrochen«, klagte Lydia.
»Wenn wir doch nur nach Brighton fahren könnten!« meinte Mrs. Bennet.
»Ach ja, wenn wir doch bloß nach Brighton könnten! Aber Vater ist ja so lieblos und eigensinnig!«
»Die Seeluft würde mir so gut tun!«
»Und Tante Philips meint, mir würde sie auch sehr gut bekommen«, warf Kitty ein.
Solcher Art waren die Klagen und Seufzer, die ständig durch die Räume von Longbourn House zogen. Elisabeth versuchte, dem allem die humorvolle Seite abzugewinnen, aber ihre Beschämung über das Betragen der Schwestern war doch größer. Ihr fielen die Vorwürfe Darcys ein, und sie mußte ihm von neuem recht geben; niemals vorher war sie so geneigt gewesen, seine Einmischung in die Angelegenheiten seines Freundes für entschuldbar zu halten.
Aber die düsteren Wolken der Freudlosigkeit, die Lydia sich schon über ihr ganzes zukünftiges Leben ausbreiten sah, sollten sich ebenso schnell wie unerwartet lichten: Mrs. Forster, die Frau des Regimentskommandeurs, lud sie ein, mit nach Brighton zu kommen. Mrs. Forster war eine junge Frau, die erst unlängst geheiratet hatte; als Freundin war sie gar nicht hoch genug einzuschätzen. In der übermütigen und lustigen Lydia hatte sie eine gleichgestimmte Seele entdeckt, und während der drei Monate, die sie sich nun kannten, waren die beiden auf allen Gesellschaften fast unzertrennlich gewesen. Und nun war Lydias Begeisterung, waren Mrs. Bennets Entzücken und Kittys Ärger kaum zu beschreiben. Lydia raste, völlig unbekümmert um die Gefühle ihrer Schwester, in einer wahren Ekstase durch das ganze Haus, forderte jeden auf, sie zu beglückwünschen und lachte und redete durcheinander mit noch weniger Pausen als sonst.
Derweilen saß die unglückliche Kitty höchst beleidigt in ihrem Zimmer und bejammerte ihr Schicksal in ebenso törichten wie mürrischen Worten.
»Ich sehe gar nicht ein, warum Mrs. Forster mich nicht ebensogut hätte einladen können wie Lydia«, klagte sie, »wenn ich auch nicht ihre besondere Freundin bin. Ich habe doch den gleichen Anspruch darauf, eingeladen zu werden; eigentlich noch mehr, denn ich bin ja zwei Jahre älter!«
Vergebens versuchten Elisabeth ihr Vernunft und Jane ihr Ergebung beizubringen. Weit davon entfernt, diese Einladung ebenso begeistert aufzunehmen wie ihre Mutter und Lydia, betrachtete Elisabeth sie vielmehr als ein Todesurteil über das bißchen Verstand, das ihre Schwester Lydia ohnehin nur besaß; so wenig ihr eine solche Handlungsweise lag, fühlte sie sich doch verpflichtet, ihrem Vater unter vier Augen zu raten, Lydia nicht mitfahren zu lassen. Sie hielt ihm deren Unreife vor, die die Freundschaft einer Frau wie Mrs. Forster kaum wettmachen dürfte, und bat ihn zu bedenken, daß Lydia in Brighton nur allzu leicht völlig außer Rand und Band geraten könne. Mr. Bennet hörte ihr aufmerksam zu und sagte dann: »Lydia wird erst anders werden, wenn sie sich in aller Öffentlichkeit einmal so blamiert hat, daß sie es selber merkt; und ich meine, billiger und bequemer als unter den gebotenen Umständen kann weder sie noch ihre Familie das je erreichen.«
»Wenn du ahntest«, antwortete Elisabeth, »wie sehr wir anderen unter Lydias unbeherrschtem und törichtem Benehmen leiden müssen oder vielmehr schon gelitten haben, dann würdest du bestimmt anders darüber denken.«
»Gelitten haben?« wiederholte ihr Vater. »Was? Sollte sie etwa schon einige von deinen Verehrern abgeschreckt haben? Arme kleine Lizzy! Aber mach dir nichts draus. Ein junger Mann, der so langweilig ist, daß er ein bißchen Torheit nicht vertragen kann, ist es sowieso nicht wert, daß man ihm eine Träne nachweint. Aber zeige mir doch mal die Liste der zartbesaiteten Burschen, die sich um Lydias Albernheit willen naserümpfend zurückgezogen haben.«
»Du irrst dich; ich habe nichts und niemanden zu beklagen. Ich sprach auch nicht von irgendeinem besonderen Fall, sondern ganz allgemein. Unsere Stellung, unser Ansehen müssen ja unter Lydias Hemmungslosigkeit und ihrer Mißachtung jeder Anstandsregel leiden. Entschuldige, aber ich muß offen reden. Wenn du, lieber Vater, dich nicht bald darum bemühst, ihre Maßlosigkeit zu bändigen und ihr beizubringen, daß es mit ihrem
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