Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
zurückkehrte, da sollte das Regiment ja nur noch höchstens vierzehn Tage in Meryton bleiben. Daher hielten Jane, der ich alles erzählt hatte, und ich es für überflüssig, unsere Weisheit noch an die große Glocke zu hängen. Was sollte es uns schon nützen, wenn die gute Meinung, die die ganze Gegend von Wickham gewonnen hatte, plötzlich verlorenging? Und selbst als verabredet wurde, daß Lydia mit Mrs. Forster nach Brighton fahren sollte, ist mir niemals der Gedanke gekommen, daß ich sie über seinen wahren Charakter aufklären müsse, weil ihr Gefahr von ihm drohen könne. An alles andere habe ich eher gedacht, das könnt ihr mir glauben, als daß mein Schweigen solche Folgen haben würde!«
»Du hattest also gar keinen Anlaß zu der Annahme, daß sie schon eine Neigung zueinander gefaßt hatten, bevor sie nach Brighton fuhren?«
»Nicht den geringsten! Ich kann mich an nichts erinnern, was darauf hätte deuten können. Und du weißt ja, unsere Familie läßt sich niemals eine noch so geringfügige Gelegenheit entgehen, um sich ausführlich darüber zu verbreiten, wer anscheinend gerade in wen verliebt ist. Als Wickham neu ins Regiment eingetreten war, da schwärmte sie natürlich für ihn, wie wir alle es taten. Schließlich war jedes Mädchen in und um Meryton ein paar Wochen lang seinetwegen ganz aus dem Häuschen. Aber er hat Lydia nie durch besondere Aufmerksamkeit ausgezeichnet. Daher kühlte sich ihre überschwengliche Bewunderung für ihn sehr bald ab, und sie nahm wieder andere Offiziere in Gnaden auf, die sich mehr um sie bemühten.«
So wenig auch alle weiteren Gespräche dazu beitragen konnten, ihren Hoffnungen, Befürchtungen und Mutmaßungen eine neue Richtung zu geben, kann man doch leicht verstehen, daß während ihrer ganzen Reise kein anderes Thema aufkam. Elisabeths Gedanken beschäftigten sich kaum mit etwas anderem. Die bitteren Vorwürfe, die sie sich selbst glaubte machen zu müssen, gewährten ihr keinen Augenblick Vergessen und Ruhe.
Sie reisten so schnell wie nur möglich und erreichten, nachdem sie die letzte Nacht durchgefahren waren, um die Mittagszeit des folgenden Tages Longbourn. Und Elisabeth fand einen kleinen Trost bei dem Gedanken, daß sie Jane nicht lange hatte warten lassen.
Als erste sprang sie aus dem Wagen, gab den kleinen Gardiners, die herausgestürzt kamen, einen flüchtigen Kuß und eilte ins Haus, wo ihr Jane schon aus dem Zimmer ihrer Mutter entgegengelaufen kam. Elisabeth umarmte sie zärtlich, während beiden die Tränen in die Augen traten; dann verlor sie aber keinen Augenblick mehr, um sich zu erkundigen, ob man inzwischen etwas über die Flüchtigen gehört habe.
»Noch nichts«, antwortete Jane, »aber nachdem jetzt unser Onkel wieder da ist, wird alles hoffentlich bald wieder gut.«
»Ist Vater noch in London?«
»Ja, er fuhr am Dienstag, wie ich dir ja schrieb.«
»Und habt ihr Nachricht von ihm?«
»Er hat erst einmal geschrieben, am Mittwoch, um uns wissen zu lassen, daß er gut angekommen sei, und um mir Anweisungen zu geben, was ich hier tun solle; ich hatte ihn darum gebeten. Am Schluß schrieb er dann nur noch, er werde erst wieder von sich hören lassen, wenn er etwas Wichtiges mitzuteilen habe.«
»Und Mutter — wie geht es ihr? Wie geht es euch allen?«
»Mutter geht es, glaube ich, nicht allzu schlecht, wenn sie sich natürlich auch schrecklich aufgeregt hat. Sie ist oben und wird sich freuen, euch wiederzusehen; sie hat seitdem ihr Zimmer nicht mehr verlassen. Mary und Kitty sind Gott sei Dank gesund und wohlauf.«
»Aber du —wie geht es dir?« rief Elisabeth. »Du siehst so blaß aus! Du mußt eine schwere Zeit durchgemacht haben!«
Ihre Schwester versicherte ihr indessen, daß es ihr ebenfalls sehr gut gehe. Ihr Gespräch wurde dann unterbrochen, da Mr. und Mrs. Gardiner, die sich draußen mit ihren Kindern abgegeben hatten, jetzt eintraten und von Jane halb freudig, halb weinend begrüßt wurden. Als sie dann alle zusammen im Wohnzimmer saßen, wurden natürlich die Fragen, die Elisabeth schon gestellt hatte, noch einmal an Jane gerichtet. Jane hatte nichts Näheres zu berichten. Aber sie hatte die Hoffnung, die ihr menschenfreundliches Herz ihr eingab, noch nicht aufgegeben; sie erwartete immer noch, daß alles ein gutes Ende finden und daß bald ein Brief von ihrem Vater oder von Lydia selbst ankommen werde, der alles aufklären mußte und vielleicht auch die Anzeige der vollzogenen Trauung enthielt.
Nach kurzer Zeit
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