Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
erfuhr, allgemeiner Beliebtheit erfreute. Danach gesellte sie sich wieder zu Charlotte und unterhielt sich gerade mit ihr, als sie sich plötzlich von Darcy angeredet hörte; eine Bitte um einen der nächsten Tänze kam ihr so überraschend, daß sie, ohne zu überlegen, einwilligte. Er ging sogleich weiter und überließ sie ihrem Zorn über ihren Mangel an Geistesgegenwart. Charlotte versuchte sie zu trösten »Du wirst sehen, er ist bestimmt sehr nett.«
»Gott behüte! Das wäre erst ein Unglück! Jemanden nett zu finden, den zu verabscheuen man fest entschlossen ist! Wünsche mir bloß das nicht!«
Der Tanz begann. Elisabeth hätte sich nicht träumen lassen, daß die einfache Tatsache, Mr. Darcy als Tänzer zu haben, ihr ein solches Ansehen verschaffen werde, wie sie es in den erstaunten und neidischen Blicken ihrer Nachbarinnen lesen konnte. Eine Zeitlang sagten sie beide nichts; und Elisabeth, die hoffte, daß sich daran während des ganzen Tanzes nichts ändern werde, gedachte zunächst nicht, das Schweigen von sich aus zu brechen. Dann kam ihr aber plötzlich der Gedanke, Mr. Darcy würde es vielleicht als eine größere Strafe empfinden, wenn sie ihn zwinge zu sprechen, und so ließ sie irgendeine nichtige Bemerkung über den Tanz fallen. Er antwortete kurz und schwieg wieder. Nach einigen Minuten redete sie ihn von neuem an.
»Jetzt sind Sie an der Reihe, etwas zu sagen, Mr. Darcy. Ich habe über den Ball gesprochen und würde Ihnen daher empfehlen, sich über die Größe des Raumes oder über die vielen Gäste auszulassen.«
»Reden Sie immer nach diesem Schema, wenn Sie tanzen?«
»Bisweilen schon. Etwas muß man doch sagen, finden Sie nicht auch? Es würde merkwürdig aussehen, wollte man eine halbe Stunde lang sich stumm gegenüberstehen; andererseits muß man mit Rücksicht auf gewisse Leute darauf achten, daß die Unterhaltung nicht allzu schwierig wird, damit sie auch etwas von sich aus dazu beisteuern können.«
»Bezieht sich diese Rücksichtnahme jetzt auf Sie, oder denken Sie mehr an meine Bequemlichkeit?«
»Beides trifft zu«, erwiderte Elisabeth schnell. »Wir sind nämlich beide sehr ähnlich veranlagt: wir sind beide ungesellig und schweigsam, das heißt, schweigsam nur, solange wir nicht überzeugt sind, daß unsere Worte alle Anwesenden in Ehrfurcht verstummen lassen und der Nachwelt als geistsprühende Gedankenblitze hinterlassen werden.«
»Diese Beschreibung wird Ihrem Charakter bestimmt nicht gerecht«, antwortete Darcy. »Inwieweit Sie den meinen getroffen haben, kann ich selbst natürlich nicht beurteilen. Sie glauben zweifellos, ein genaues Ebenbild von mir entworfen zu haben.«
»Ich will meine eigenen Fähigkeiten nicht loben.«
Er erwiderte nichts, und sie tanzten eine längere Weile schweigend, bis er sie fragte, ob sie und ihre Schwestern häufiger nach Meryton gingen. Sie bejahte und konnte der Versuchung nicht widerstehen, hinzuzufügen: »Als Sie uns neulich dort trafen, hatten wir gerade eine neue Bekanntschaft gemacht.«
Die Wirkung war verblüffend. Sein Gesicht wurde um noch einen Grad abweisender und hochmütiger, aber er sprach kein Wort, und auch Elisabeth wagte nichts mehr zu sagen, wenn sie sich auch innerlich wegen ihrer Feigheit schalt. Schließlich sagte Darcy kühl: »Mr. Wickham ist mit einem so vorteilhaften Auftreten gesegnet, daß er sich überall schnell Freunde erwirbt. Ob er die gleiche Geschicklichkeit beweist, wenn es gilt, sich die Freunde zu bewahren, ist sehr viel weniger gewiß.«
»Er hat ja leider das Unglück gehabt, Ihrer Freundschaft verlustig zu gehen«, entgegnete Elisabeth mit Nachdruck, »und das in einer Weise, unter der er sein ganzes Leben lang wird leiden müssen.«
Darcy erwiderte hierauf nichts und schien keine Lust zu haben, das Thema weiter zu verfolgen.
Elisabeth ließ sich aber nicht davon abbringen, den angefangenen Faden weiterzuspinnen.
»Ich erinnere mich, daß Sie einmal sagten, Sie seien unversöhnlich, wenn erst einmal Ihr Unwille erregt worden sei. Sie sind in solchen Fällen natürlich immer ganz sicher, daß Sie Grund zu dem Unwillen gehabt haben?«
»Selbstverständlich!« antwortete er mit fester Stimme.
»Sie lassen sich nie durch ein Vorurteil beeinflussen?«
»Ich hoffe doch nicht!«
»Leute, die eine einmal gefaßte Meinung nicht wieder ändern können, sollten besonders bemüht sein, niemanden ungerecht zu verurteilen.«
»Wollen Sie mir nicht sagen, was Sie mit allen Ihren Fragen
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