Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
bezwecken?«
»Nichts anderes, als Ihren Charakter zu ergründen«, sagte sie mit einem Versuch, ihre Heiterkeit wiederzugewinnen. »Ich möchte zu gern dahinterkommen, was es mit Ihnen auf sich hat.«
»Und welchen Erfolg haben Sie zu verzeichnen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich fürchte, gar keinen. Man hört so viel Verschiedenes über Sie, daß ich jetzt überhaupt nicht weiß, was ich denken soll.«
»Das glaube ich Ihnen gern«, meinte er ernsthaft, »daß die Gerüchte über mich sehr weit voneinander abweichen. Und ich möchte Sie bitten, Miss Bennet, den Versuch, ein Bild von meinem Charakter zu entwerfen, auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben; denn ich fürchte, das Ergebnis würde gegenwärtig keinem von uns beiden eine Freude machen.«
»Aber wenn ich mir jetzt nicht ein Bild von Ihnen mache, werde ich vielleicht nie wieder eine Gelegenheit dazu bekommen.«
»Nun, ich will natürlich kein Spielverderber sein«, erwiderte er kühl.
Danach sprachen sie nicht mehr, und der Tanz ging im Schweigen zu Ende. Als sie sich getrennt hatten, blieb bei beiden ein Gefühl des Unbefriedigtseins zurück, wenn es auch verschiedenen Ursprungs war; denn Darcy verspürte eine Zuneigung zu ihr, die stark genug war, um bald ihre Verzeihung zu gewinnen, während sein Zorn sich gegen jemand anders richtete.
Elisabeth stand nicht lange für sich allein; Miss Bingley eilte auf sie zu und redete sie mit einer Miene höflich verdeckten Unwillens an: »Was höre ich, Miss Elisabeth, Sie sind ganz begeistert von George Wickham? Ihre Schwester hat mit mir über ihn gesprochen und mich tausenderlei gefragt. Dabei fiel mir auf, daß der junge Mann trotz aller Mitteilsamkeit vergessen hat, Ihnen zu berichten, daß sein Vater Verwalter bei dem alten Mr. Darcy war. Aber lassen Sie sich von mir als Ihrer guten Freundin den Rat geben, nicht zu blind allen seinen Behauptungen zu vertrauen. Daß Mr. Darcy ihn schlecht behandelt haben soll, ist zum Beispiel vollständig unwahr; Mr. Darcy ist im Gegenteil immer von einer ungewöhnlichen Langmut und Freundlichkeit gewesen, obwohl Wickham es ihm nie anders als mit der übelsten Undankbarkeit gelohnt hat. Ich kenne die näheren Einzelheiten nicht, aber ich weiß genau, daß Mr. Darcy in keiner Weise Schuld an der Entfremdung trägt, daß er den Namen Wickham in seiner Gegenwart nicht ausgesprochen haben möchte und daß mein Bruder, der ihn von der Einladung an die Offiziere anstandshalber nicht glaubte ausschließen zu können, heilfroh war, als er hörte, daß Mr. Wickham es vorzog, fern zu bleiben. Daß er es überhaupt wagte, hierher aufs Land zu kommen, ist der Gipfel der Unverschämtheit, und ich staune, daß sogar seine Unverfrorenheit sich nicht davor gescheut hat. Es schmerzt mich tief, meine liebe Elisabeth, Ihnen die Illusionen von Ihrem neuen Verehrer so grausam rauben zu müssen. Aber wenn man seine Herkunft bedenkt, dann wundert einen nichts mehr.«
»Seine Herkunft scheint in Ihren Augen sein größtes Verbrechen zu sein«, entgegnete Elisabeth aufgebracht, »denn die schlimmste Anschuldigung, die Sie vorbringen konnten, war die, daß er der Sohn von Mr. Darcys Verwalter ist — und diesen großen Fehler hat er mir sogleich selbst eingestanden!«
»Ach, ich muß Sie um Verzeihung bitten«, sagte Caroline und wandte sich mit einem spöttischen Lächeln zum Gehen. »Entschuldigen Sie meine Naseweisheit; sie war gut gemeint.«
»Eingebildete Pute!« dachte Elisabeth bei sich. »Du irrst dich aber gewaltig, wenn du meinst, mich mit solchen Lächerlichkeiten beeinflussen zu können. Das einzige, was mir daraus immer klarer wird, ist, wie dumm du bist und wie boshaft dein Darcy.«
Danach ging sie auf die Suche nach ihrer älteren Schwester, die Bingley über dasselbe Thema ausgefragt hatte. Sie traf Jane in einer Heiterkeit und Zufriedenheit, die keinen Zweifel über den guten Verlauf ihres Abends lassen konnten.
Elisabeth konnte sich unschwer in die Stimmung ihrer Schwester versetzen, und augenblicklich verschwanden ihre Unruhe um Wickham, ihr Ärger über seine Feinde vor der Freude, Jane so glücklich zu sehen.
»Jetzt mußt du mir berichten«, sagte sie mit einem Gesicht, das nicht weniger heiter und zufrieden aussah als das ihrer Schwester, »was du über Wickham in Erfahrung bringen konntest. Aber vielleicht hast du dich zu gut unterhalten, um noch an einen dritten zu denken.«
»Nein«, antwortete Jane, »ich habe wohl an ihn gedacht. Aber viel kann ich dir
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