Stone Girl
wenn ein Junge wie dieser hier sie küsst. Stattdessen will sie sich auf Shaw konzentrieren, der ihr das Shirt bis zu den Achselhöhlen hinaufzieht, ihren Bauch küsst und sie, für nur eine Sekunde, glücklich macht, dass die Stelle dort so weich ist. Es macht sie glücklich, wie es sich anfühlt, wenn er leicht dagegen drückt. Gerade jetzt fühlt es sich einfach nur weich an, nicht wie Fett.
Also versenkt sie sich in seine Küsse und wie seine Hände ihr eine Gänsehaut verursachen. Als alles vorbei ist, steht sie auf und geht ins Badezimmer. Erst dann schaltet sie das Licht ein und erst dann sieht sie sich nackt im Licht. Sie erinnert sich an das erste Mal in diesem Badezimmer und was sie hier getan hat. Während sie sich in dem Ganzkörperspiegel neben dem Waschbecken betrachtet, tastet sie mit den Händen über ihren Brustkorb. Sie ist noch nicht dünn genug, dass sie ihre Rippen zählen könnte, so wie sie es von einigen Magersüchtigen gehört hat. Sie versteht, warum es tröstlich sein kann, seine Knochen zu zählen. Es ist wie eine Erinnerung daran, wo die eigenen Anstrengungen, Gewicht zu verlieren, enden müssen. Bei Knochen, die trotzig hervorstehen, als würden sie sagen: Du kannst nicht dünner werden, als wir es sind. Sethie kneift sich in die Haut über ihren Rippen. Sie könnte noch dünner sein.
Das zählt nicht, denkt sie, als sie sich über die Toilette beugt. Ich habe zu viel getrunken, also mache ich es eigentlich nur, um morgen früh keinen Kater zu haben. Und eigentlich wollte ich die Pizza ja nicht mal, ich habe sie nicht gebraucht, also ist es nicht fair, diese Kalorien in mir behalten zu müssen.
Obwohl sie es erst einmal gemacht hat, und das vor Monaten, weiß sie, es muss schnell gehen, bevor Shaw auffällt, dass sie schon ziemlich lange weg ist. Sie beschränkt sich auf zwei Versuche und ist hocherfreut, als sie schon bald den pinkfarbenen Drink sieht, den sie zu Beginn des Abends zu sich genommen hat. Damit hat sie die Kalorien von vielen Stunden wieder getilgt.
Shaw schläft zuerst ein, was Sethie nicht weiter überrascht. Er hält sie umschlungen, doch ihr ist kalt, also löst sie sich aus seiner Umarmung und rückt auf die andere Seite des riesigen Betts, tiefer unter die Decken, sodass sie ihren Kopf wie eine Haube umgeben und nur noch ihr Gesicht herausschaut. Es macht ihr nichts aus, nicht schlafen zu können, ja sie hat es gar nicht erwartet. Und es macht ihr auch nichts aus, die Wände zu betrachten, das Muster der Tapete, das aussieht wie ein Dornengestrüpp, obwohl es eigentlich nur Ranken sein sollen. Janeys Eltern haben einen exklusiven Geschmack, das kann sie auch in der Dunkelheit erkennen. Sie fragt sich, wie viele Gänsedaunen wohl in der Bettdecke stecken. Was es für eine Verschwendung wäre zu schlafen, wenn sich das Bett so gut anfühlt. Die Laken sind frisch, sauber und halten gleichzeitig warm, und die Kissen sind so dick, dass sie sich sofort wieder aufrichten, wenn man den Kopf hebt.
Dies, denkt Sethie, ist ein großes, erwachsenes Bett in einem erwachsenen Haus. Shaw und ich werden nie so eine Wohnung haben, wir würden das alles gar nicht brauchen. Sofort ist es Sethie peinlich, dass ihr so ein Gedanke gekommen ist. Wie lächerlich. Ich müsste es doch besser wissen, als eine gemeinsame Zukunft mit meinem Highschool-Freund zu planen. Ich müsste es sogar besser wissen, als ihn meinen Freund zu nennen. Dieses Wort benutzt heutzutage niemand mehr.
Na ja, ein paar Leute vielleicht noch, denkt sie. Einer von Shaws Freunden hat eine Fernbeziehung. Er geht nie mit ihnen weg und kommt auch nie zum Rauchen herüber, weil er zu sehr damit beschäftigt ist, seine Freundin anzurufen. Und dieses nervige Mädchen in ihrem Physikkurs, die hat auch einen »Freund«. Sie und er denken sogar darüber nach, aufs gleiche College zu gehen, obwohl doch jeder weiß, was für ein Fehler das ist. Mädchen sollten sich bei der Wahl ihrer Schule nicht nach ihren Freunden richten. Denn wenn sie erst mal am College ist, bleibt kein Mädchen bei ihrem Highschool-Freund. Es kommt immer zur Trennung. Sethie weiß, wenn es nächstes Jahr Zeit ist, ans College zu wechseln, werden Shaw und sie einfach nur Freunde bleiben, da sie aller Wahrscheinlichkeit nach sowieso an verschiedene Orte ziehen. Aber sie waren ja auch einfach nur Freunde, bevor sie zusammengekommen sind, also sollte es eigentlich nicht zu schwierig sein. Trotzdem, sie kann es sich nicht so recht vorstellen. Folglich denkt
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