Stone Girl
trinkt ihren Liter Wasser. Sie hat ihn fast fertig und muss so dringend aufs Klo, dass sie glaubt, gleich zu platzen. Noch ein Schluck, spricht sie sich selbst gut zu, dann bist du fertig und kannst gehen.
»Hey, gib mir auch was davon«, sagt Shaw, und noch bevor Sethie begriffen hat, was er da tut, hat er sich die Flasche geschnappt und den letzten Rest Wasser getrunken. Sethie ist wie erstarrt. Heißt das, sie kann jetzt aufstehen und aufs Klo gehen? Sollte sie nicht vielleicht für Nachschub sorgen, versuchen, die Wassermenge, die Shaw getrunken hat, abzuschätzen, versuchen, ihre Aufgabe zu Ende zu bringen? Sie hat das Gefühl, sich durchmogeln zu wollen, als hätte Shaw gerade die Hausaufgaben für sie gemacht und als könne sie sich jetzt nicht dazu durchringen, seine Arbeit beim Lehrer einzureichen.
Shaw robbt zur Bettkante und lässt seine Arme neben ihren Schultern herunterhängen. Mit den Fingern malt er Figuren auf Sethies Oberarme, und Sethie legt den Kopf zurück. Sie versucht nachzuempfinden, was für Figuren er da wohl zeichnet. Aber vielleicht schreibt er auch etwas.
Plötzlich greifen Shaws Hände nach ihr und ziehen sie zu sich aufs Bett. Als er sich über sie beugt, denkt Sethie: Warte nur eine Sekunde, und: Lass mich kurz aufstehen. Doch die Worte kommen nicht aus ihrem Mund. Was, wenn sie ihn unterbricht und er sie dann nicht mehr will, wenn sie von der Toilette zurückkommt? Manchmal denkt Sethie, das Schönste am Sex ist der Beweis, dass Shaw sie begehrt. Das gefällt ihr am besten daran. Sie befürchtet, ihn aufzuhalten könnte sein Begehren erlahmen lassen. Also liegt sie einfach nur so unter ihm, obwohl sich ihre Blase anfühlt, als würde sie gleich explodieren. Als er in ihr ist, hat sie das Gefühl zu spüren, wie die ganze Flüssigkeit in ihr herumschwappt. Es tut weh, und Sethie beißt sich auf die Lippen, um nicht zu weinen. Dass es wehtut, ist nicht Shaws Schuld. Er würde aufhören, wenn er es wüsste. Die ersten Male, als sie miteinander geschlafen haben, hatte er schreckliche Angst, ihr wehzutun. Sie hatten sehr vorsichtigen Sex, als würde jeder von ihnen befürchten, den anderen zu verletzen. Es hat ein bisschen gedauert, bis sie merkten, wie weit sie gehen können, was die kleinen Schmerzen sind, die ihnen gleich danach nichts mehr ausmachen. Auch jetzt ist Shaw sanft. Er hält ihr Gesicht in den Händen, er hebt sie vorsichtig hoch und fängt ganz langsam an. Als sie fertig sind, zieht er die Decke über sie, weil er weiß, wie kalt ihr immer ist. Einmal hat er im Scherz gesagt, sie sei das einzige Mädchen, das er kenne, dem vom Sex kälter anstatt wärmer würde. Dabei kommt das nur daher, dass er sie mit seiner kalten Haut überall berührt, aber das weiß er natürlich nicht. Sethie wartet, bis Shaw eingenickt ist, dann klettert sie aus dem Bett und läuft ins Badezimmer.
Shaw geht erst nach zehn Uhr. Als er weg ist, wäscht sich Sethie das Gesicht und putzt sich die Zähne. Vorsichtig trägt sie Hautcremes auf, die eigentlich für sehr viel ältere Frauen gedacht sind: eine Antifaltencreme für Augen und Stirn und eine spezielle Salbe, die ihre Lippen voll und weich erscheinen lässt.
Sie schlüpft in eine Boxershorts und ein Tanktop und geht wieder ins Bett. Eigentlich sollte sie mit langen Ärmeln und Hose schlafen, denkt sie, vielleicht könnte sie dann mit den akrobatischen Verrenkungen aufhören, die sie zurzeit immer aufführt. Sie muss das Laken falten und zwischen ihre Beine legen, damit sie nicht spürt, wie die Innenseiten ihrer Schenkel aneinanderreiben. Sie muss ein Kissen umarmen, damit sie nicht spürt, wie das Fett ihrer Oberarme gegen ihre Flanken gedrückt wird. Und ihre Wange muss so auf dem Kissen liegen, wie sie auf Shaws Brust liegen würde, wenn er noch da wäre. Sie küsst das Kissen dort, wo normalerweise Shaws Wange liegt. Erst dann kann sie einschlafen.
10
Sethie hat angefangen, Janey bei den Englischhausaufgaben zu helfen. Janey ist fest entschlossen, ihren Notendurchschnitt dieses Schuljahr zu verbessern.
»Aber du kriegst doch eh schon glatte Einsen«, protestiert Sethie zunächst.
»Nicht in Englisch«, widerspricht Janey, doch sie muss erst alte Schulzeugnisse hervorkramen, bis Sethie ihr endlich glaubt.
Sethie zieht Janey auf, ihr neu erwachtes Interesse für ihren Schnitt komme wohl daher, dass sie auf der Columbia angenommen werden wolle, um in Dougs Nähe zu sein.
»Halt die Klappe«, sagt Janey lachend, doch Sethie bemerkt
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