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Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Williams
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Eltern auf der Farm, an die Leblosigkeit, der er auf wundersame Weise entronnen war.
    »Ich weiß nicht«, sagte er dann. »Alles, glaube ich. Ich kann’s nicht sagen.«
    »Es wird nicht leicht werden«, sagte Masters. »Hier zu bleiben.«
    »Ich weiß«, sagte Stoner.
    »Aber es lohnt sich, meinst du?«
    Stoner nickte.
    Masters grinste und sagte wieder im gewohnt ironischen Ton: »Du hast jedenfalls den asketischen, hungrigen Blick. Du bist verdammt.«
    Finchs kummervoller Ausdruck war in so etwas wie vorsichtige Verachtung umgeschlagen. »Das wirst du noch bedauern, Bill«, brachte er heiser heraus, und seine Stimme schwebte zwischen Drohung und Mitleid.
    Stoner nickte. »Das kann gut sein«, sagte er.
    Dann verabschiedete er sich und ging. Seine beiden Freunde würden am nächsten Tag nach St. Louis fahren, um sich anwerben zu lassen, und Stoner musste den Unterricht für die kommende Woche vorbereiten.
    Er hatte wegen seiner Entscheidung kein schlechtes Gewissen, und als die allgemeine Einberufung erfolgte, beantragte er seine Freistellung ohne ein Gefühl der Reue, doch war er sich der Blicke bewusst, die ihm die älteren Kollegen zuwarfen, der kaum verhohlenen Respektlosigkeit, die sich im allgemeinen Verhalten seiner Studenten ihm gegenüber zeigte. Er meinte sogar zu spüren, dass sich Archer Sloane, der seine Entscheidung, an der Universität zu bleiben, seinerzeit mit herzlicher Zustimmung begrüßt hatte, kühler und reservierter verhielt, je länger der Krieg andauerte.
    Im Frühjahr 1918 schloss er die Doktorarbeit ab und erhielt die Promotion im Juni desselben Jahres. Einen Monat ehe er den Titel zugesprochen bekam, traf ein Brief von Gordon Finch ein, der die Offiziersschule durchlaufen hatte und an ein Ausbildungslager am Stadtrand von New York überstellt worden war. Der Brief informierte Stoner, dass man es Finch gestattete, in seiner Freizeit an der Universität von Columbia zu studieren, wo er seine Doktorarbeit beenden und imkommenden Sommer am dortigen Lehrerkolleg das Examen machen würde.
    Gleichfalls teilte man ihm in diesem Brief mit, dass Dave Masters nach Frankreich geschickt worden war, wo er fast genau ein Jahr nach seiner Rekrutierung mit den ersten amerikanischen Truppen, die in Gefechte verwickelt waren, bei Château-Thierry getötet wurde.

III
    EINE WOCHE VOR DER ABSCHLUSSFEIER , während der Stoner den Doktortitel verliehen bekommen sollte, bot ihm Archer Sloane eine Vollzeitdozentur an. Er erklärte, es entspreche zwar nicht den Gepflogenheiten der Universität, die eigenen Doktoranden einzustellen, doch habe er angesichts des kriegsbedingten Mangels an ausgebildeten und erfahrenen Collegelehrern die Verwaltung überreden können, in diesem Fall eine Ausnahme zu machen.
    Ein wenig widerstrebend hatte Stoner zuvor Bewerbungsbriefe an Universitäten und Colleges im Umkreis geschrieben und knapp seine Qualifikationen aufgelistet. Als er keine Antwort erhielt, fühlte er sich seltsam erleichtert, eine Erleichterung, die er halbwegs verstand, hatte er doch an der Universität von Columbia jene Art von Sicherheit und Geborgenheit kennengelernt, die er als Kind daheim hätte fühlen sollen, aber nie empfunden hatte; und er wusste nicht, ob er sie auch woanders finden würde. Also nahm er Sloanes Angebot dankbar an.
    Dabei fiel ihm auf, dass Sloane im Laufe des Krieges deutlich gealtert war. Mit Ende fünfzig wirkte er zehn Jahre älter; das lockige Haar, einst eine widerspenstige, eisengraue Mähne, lag nun weiß, flach und leblos am knochigen Schädel an. Die schwarzen Augen blickten so matt, als wären sievon einem feuchten Film überzogen; das schmale, gefurchte Gesicht, einst fest wie gespanntes Leder, wirkte nun so brüchig wie altes, trockenes Papier, und die flache, ironische Stimme war zittrig geworden. Bei seinem Anblick dachte Stoner: Er wird sterben – in ein oder zwei Jahren, vielleicht auch in zehn, aber er wird sterben. Ein verfrühtes Gefühl von Verlust packte ihn, und er wandte sich ab.
    In jenem Sommer des Jahres 1918 weilten seine Gedanken oft beim Tod. Masters’ Tod hatte ihn stärker getroffen, als er sich eingestehen wollte; außerdem wurden die ersten Listen mit amerikanischen Opfern in Europa veröffentlicht. Hatte er zuvor an den Tod gedacht, war er für ihn ein literarisches Ereignis gewesen oder der langsame, stille Verfall unvollkommenen Fleisches im Laufe der Zeit. Die Explosion von Gewalt auf einem Schlachtfeld war ihm dabei nie in den Sinn gekommen, der

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