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Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Williams
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›Gespräch‹ verlief indirekt, anspielungsreich und zäh und wurde immer wieder von langem Schweigen unterbrochen. Horace Bostwick hielt kurze Reden über sich selbst, die er an eine Stelle gut zehn Zentimeter über Stoners Kopf richtete, wodurch dieser erfuhr, dass Bostwick ein Bostoner war, dessen Vater in Neuengland gegen Ende seines Lebens nicht nur die eigene Karriere im Bankgeschäft, sondern auch die Zukunft seines Sohnes durch eine Reihe törichter Investitionen ruiniert hatte, aufgrund derer das Bankhaus schließen musste. (»Verraten«, erklärte Bostwick der Zimmerdecke, »von falschen Freunden.«) So war der Sohn kurz nach dem Bürgerkrieg mit der Absicht nach Missouri gekommen, weiter in Richtung Westen zu ziehen, doch sollte er nie über Kansas City hinauskommen, wohin ihn gelegentliche Geschäftsreisen führten. Eingedenk des väterlichen Scheiterns oder des Verrats gab er seine erste Stelle bei einer kleinen Bank in St. Louis nie wieder auf und heiratete mit Ende dreißig, finanziell als Junior-Vizepräsident abgesichert, ein ortsansässiges Mädchen aus gutem Hause. Der Ehe entsprang ein einziges Kind; Bostwick hatte sich einen Sohn gewünscht, bekam aber eine Tochter, und das war eine weitere Enttäuschung, die er kaum zu verbergen suchte. Wie so viele Menschen, die ihren Erfolg ungenügend finden, war er über die Maßen eitel und verzehrt vom Gefühl der eigenen Bedeutsamkeit. Alle zehn oder fünfzehn Minuten zog er aus seiner Westentasche eine große goldene Uhr, warf einen Blick darauf und nickte gedankenschwer.
    Mrs Bostwick sprach weniger und auch nicht so direkt über sich selbst, doch machte sich Stoner rasch ein Bild von ihr. Sie gehörte zu einem gewissen Typ Südstaatendame und stammte aus alter, diskret verarmter Familie, aufgewachsen in der Annahme, dass die beschränkten Bedingungen, unter denen die Familie darbte, ihrem Status unangemessen waren. Man hatte ihr beigebracht, nach einer Verbesserung dieses Zustands zu trachten, ohne die Art dieser Verbesserung je genau zu benennen. Die Ehe mit Horace Bostwick hatte sie mit einer derart zur Gewohnheit gewordenen Unzufriedenheit geschlossen, dass diese längst Bestandteil ihrer Persönlichkeit geworden war. Im Laufe der Jahre wuchsen Unzufriedenheit und Bitterkeit noch, wodurch sie so allgemein und umfassend wurden, dass kein Kraut mehr dagegen gewachsen zu sein schien. Ihre Stimme war schrill und hoch, und es schwang darin eine Hoffnungslosigkeit mit, die jedem Wort, das sie sagte, eine eigene Bedeutsamkeit verlieh.
    Es war später Nachmittag, ehe auch nur einer von ihnen erwähnte, weshalb sie zusammengekommen waren.
    Sie erzählten Stoner, wie sehr ihnen Edith am Herzen liege, wie besorgt sie um ihr künftiges Glück seien, und redeten von den Vorteilen, die ihre Tochter genossen habe. Stoner saß in qualvoller Verlegenheit vor ihnen und versuchte, Antworten zu geben, von denen er hoffte, dass man sie für angemessen hielt.
    »Ein außergewöhnliches Mädchen«, sagte Mrs Bostwick. »So sensibel.« Die Falten in ihrem Gesicht vertieften sich, als sie mit alter Bitterkeit fortfuhr: »Kein Mann – niemand kann in vollem Maße verstehen, wie zart … wie …«
    »Ja«, unterbrach Horace sie knapp. Und er begann, Stoner nach dessen ›Aussichten‹ zu befragen. Stoner antwortete,so gut er es eben vermochte, hatte aber nie zuvor über seine ›Aussichten‹ nachgedacht und war überrascht, wie bescheiden sie sich anhörten.
    Bostwick sagte: »Und außer Ihrem Beruf haben Sie weiter keine … Mittel?«
    »Nein, Sir«, erwiderte Stoner.
    Betrübt schüttelte Mr Bostwick den Kopf. »Edith hat gewisse … Vorteile … gehabt, wissen Sie. Ein gutes Zuhause, Dienstboten, die besten Schulen. Ich frage mich – also, ich beginne zu fürchten, dass sie bei dem reduzierten Standard, wie er durch Ihre … ähm, Bedingungen … gewiss unvermeidlich wird, nun, dass sie …« Seine Stimme wurde leiser und verstummte schließlich.
    Stoner fühlte Übelkeit in sich aufsteigen, aber auch Wut. Er wartete einen Augenblick, ehe er antwortete, und sagte dann so gefasst und ausdruckslos, wie es ihm nur möglich war: »Ich muss gestehen, Sir, dass ich derlei materielle Fragen noch nicht bedacht habe. Ediths Glück ist natürlich mein … Falls Sie glauben, Edith könnte unglücklich werden, dann muss ich …« Er schwieg, suchte nach Worten und wollte Ediths Vater von seiner Liebe zu dessen Tochter überzeugen, davon, wie gewiss er sich ihres gemeinsamen

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