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Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Williams
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unter Kontrolle. Edith wird in wenigen Minuten unten sein.«
    Er fragte sich, ob er sich an dies hier erinnern würde, wenn es vorbei war; alles schien so verschwommen, als blickte er durch einen Schleier. Er hörte sich Finch fragen: »Der Priester – ich habe ihn noch nicht gesehen. Ist er da?«
    Finch lachte, schüttelte den Kopf und sagte etwas; dann ging ein Murmeln durch den Raum. Edith kam die Treppe herab.
    In ihrem weißen Kleid war sie wie ein kaltes Licht, das ins Zimmer drang. Stoner wollte ihr unwillkürlich entgegengehen, spürte aber auf dem Arm Finchs Hand, die ihn zurückhielt.Edith sah blass aus, warf ihm jedoch ein kleines Lächeln zu. Dann war sie neben ihm, und sie gingen gemeinsam. Ein Fremder mit rundem Kragen stand vor ihnen; er war klein, dick, hatte ein undeutliches Gesicht, murmelte irgendwas und blickte dabei in ein weißes Buch in seinen Händen. William hörte sich in das Schweigen hinein antworten. Er spürte, wie Edith an seiner Seite zitterte.
    Dann folgte eine lange Stille, wieder Gemurmel, darauf Gelächter. Jemand sagte: »Küss die Braut!« Er wurde herumgedreht; Finch grinste ihn an. Er lächelte auf Edith hinab, deren Gesicht vor ihm schwamm, und er küsste sie; ihre Lippen waren so trocken wie seine.
    Er fühlte, wie ihm die Hand geschüttelt wurde; Leute klopften auf seinen Rücken, lachten, drängten sich in den Raum. Immer mehr kamen durch die Tür. Auf dem langen Tisch am gegenüberliegenden Ende des Salons tauchte ein großes Kristallgefäß mit Punsch auf. Es gab Kuchen. Jemand hielt seine und Ediths Hand übereinander; da war ein Messer; er begriff, dass man von ihm erwartete, ihre Hand zu führen, während sie den Kuchen anschnitt.
    Dann wurde er von Edith getrennt und konnte sie im Gewühl nicht wiederfinden. Er redete und lachte, nickte und blickte sich nach Edith um und sah seine Mutter und seinen Vater noch immer in derselben Ecke des Salons stehen, aus der sie sich nicht fortgerührt hatten. Mutter lächelte; Vater hatte ihr unbeholfen eine Hand auf die Schulter gelegt. Er wollte zu ihnen, konnte sich aber nicht von jenen lösen, mit denen er gerade sprach.
    Dann entdeckte er Edith. Sie stand bei ihrem Vater, ihrer Mutter sowie ihrer Tante, und der Vater blickte mit leichtem Stirnrunzeln über den Salon, als fehlte es ihm an Geduld.Ediths Mutter weinte, rote, verquollene Augen über schweren Wangenknochen, der Mund wie bei einem schmollenden Kind nach unten verzogen. Mrs Darley und Edith hatten die Arme um sie gelegt, und Mrs Darley redete so rasch auf sie ein, als versuche sie, ihr etwas zu erklären. Selbst über den Salon hinweg konnte William allerdings sehen, dass Edith stumm blieb; ihr Gesicht war wie eine Maske, weiß und ausdruckslos. Kurz darauf führte man Mrs Bostwick nach draußen, und William sah Edith erst wieder, als der Empfang vorbei war, Gordon Finch ihm etwas ins Ohr flüsterte, ihn zu einer Seitentür geleitete, die in einen kleinen Garten führte, und ihn nach draußen schob. Edith wartete dort, dick eingemummelt gegen die Kälte, den Kragen hochgeschlagen, sodass er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Gordon Finch lachte, sagte Worte, die William nicht verstand, und drängte sie beide einen Weg entlang zur Straße, wo eine Kutsche mit Verdeck darauf wartete, sie zum Bahnhof zu fahren. Erst als sie im Zug saßen, der sie zu ihrer Flitterwoche nach St. Louis bringen sollte, begriff William Stoner, dass alles vorbei war und er eine Frau hatte.
    *
    Sie begannen ihre Ehe unschuldig, wenn auch auf sehr verschiedene Weise unschuldig. Beide waren sie jungfräulich, und sie wussten um ihre Unerfahrenheit, doch wohingegen der auf einer Farm aufgewachsene William die natürlichen Lebensprozesse nicht weiter bemerkenswert fand, waren sie für Edith unerwartet und ein großes Mysterium. Sie wusste nichts darüber, und etwas in ihr wollte auch nichts darüber wissen.
    Wie für so viele Frischvermählte waren ihre Flittertage ein Debakel, doch wollten sie sich dies nicht eingestehen, und auch die Bedeutung dieses Debakels begriffen sie erst sehr viel später.
    Am Sonntagabend trafen sie in St. Louis ein. Umgeben von Fremden, die sie neugierig und wohlwollend musterten, war Edith im Zug aufgedreht, beinahe fröhlich gewesen. Sie lachten, hielten sich an der Hand und redeten über die kommenden Tage. In der Stadt dann, als William eine Kutsche aufgetrieben hatte, die sie zu ihrem Hotel brachte, schlug Ediths Ausgelassenheit ins leicht Hysterische um.
    Lachend

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