Stoner: Roman (German Edition)
er um ihre Erlaubnis gebeten hatte, sie besuchen zu dürfen, daran, wie sie ihn von der Tür her angeschaut und ein kalter Wind geweht hatte. Dann wich dieser Blick, doch kam Stoner die Überraschung, die sich anschließend auf ihrem Gesicht zeigte, unwirklich vor. Edith sagte, in diesem Sinne hätte sie eigentlich nie an ihn gedacht, hätte sich derlei nie vorgestellt und wisse nun nicht recht.
»Aber du musst doch gemerkt haben, dass ich dich liebe«, sagte er. »Ich wüsste nicht, wie ich das hätte verbergen können.«
Mit einem Hauch von Temperament erwiderte sie: »Nein, habe ich nicht. Ich habe nichts dergleichen gemerkt.«
»Dann muss ich es dir noch einmal sagen«, erwiderte er sanft. »Und du musst dich daran gewöhnen. Ich liebe dich, und ich kann mir nicht vorstellen, ohne dich zu leben.«
Sie schüttelte wie verwirrt den Kopf. »Aber meine Europareise«, sagte sie leise. »Tante Emma …«
Er spürte, wie ein Lachen in seiner Kehle aufstieg, und in frohem Zutrauen erwiderte er: »Ach, Europa. Ich zeige dir Europa. Eines Tages fahren wir zusammen hin.«
Sie wandte sich von ihm ab und legte die Fingerspitzen an die Stirn. »Du musst mir Zeit zum Nachdenken lassen. Und ich muss mit Mutter und Daddy reden, ehe ich auch nur ernsthaft …«
Weiter mochte sie sich nicht festlegen. Vor ihrer Abreise nach St. Louis in wenigen Tagen würde sie ihn nicht wiedersehen, weshalb sie ihm schreiben wollte, nachdem sie mit den Eltern gesprochen und selbst einen Entschluss gefasst hatte. Als er an diesem Abend ging, beugte er sich vor, um sie zu küssen, sie aber wandte den Kopf ab, sodass seine Lippen nur die Wange streiften. Sie drückte ihm leicht die Hand und ließ ihn zur Vordertür hinaus, ohne ihn noch einmal anzusehen.
Zehn Tage später erhielt er besagten Brief. Es war ein seltsam förmliches Schreiben, das mit keinem Wort darauf einging, was sich zwischen ihnen ereignet hatte, und nur erwähnte, dass Edith es gern sähe, wenn er ihre Eltern kennenlernte, und dass sie sich alle darauf freuten, ihn begrüßen zu dürfen, wenn er, sofern ihm dies möglich sei, am nächsten Wochenende nach St. Louis käme.
Ediths Eltern begegneten ihm mit genau der kühlen Höflichkeit, die er von ihnen erwartet hatte; und sie versuchten gleich, ihm jegliches Gefühl von Leichtigkeit zu nehmen, das er noch gehabt haben mochte. So stellte ihm etwa Mrs Bostwick eine Frage und reagierte auf seine Antwort mit einem langgezogenen ›ja-a‹ in höchst zweifelhaftem Ton, um ihn dann so neugierig anzusehen, als hätte er einen Pickel im Gesicht oder eine blutende Nase. Wie Edith warsie groß und hager, und anfangs irritierte Stoner diese unerwartete Ähnlichkeit, doch waren Mrs Bostwicks Züge grob und lethargisch, ohne jede Andeutung von Feinsinnigkeit oder Stärke, und ihr Gesicht verriet die tiefen Spuren dessen, was man wohl eine notorische Unzufriedenheit nennen konnte.
Horace Bostwick war ebenfalls groß gewachsen, nur wirkte er auf merkwürdige und beinahe substanzlose Weise füllig, fast korpulent; ein Kranz grauer Haare umlockte den ansonsten kahlen Schädel, und vom Kiefer hing die Haut in schlaffen Falten herab. Wenn er mit Stoner sprach, blickte er über dessen Kopf hinweg, als ob er hinter ihm etwas sähe, und wenn Stoner antwortete, trommelte er mit dicken Fingern auf den gepaspelten Längssaum seiner Weste.
Edith begrüßte Stoner, als wäre er ein zufälliger Besucher, dann ließ sie sich unbekümmert treiben und ging belanglosen Aufgaben nach. Er folgte ihr mit den Blicken, konnte sie aber nicht bewegen, ihn anzusehen.
Es war das größte und eleganteste Haus, in dem Stoner sich je aufgehalten hatte. Die Zimmer waren dunkel, sehr hoch und vollgestellt mit Vasen aller Art und Größe, mit matt glänzenden Silbergefäßen auf marmorbelegten Tischen, Kommoden und Truhen sowie mit überaus delikat geformten Möbeln, die mit reich verzierten Stoffen bezogen waren. Sie gingen durch mehrere Zimmer zu einem Salon, in dem, so murmelte Mrs Bostwick, sie und ihr Gatte mit Freunden gern zwanglos zusammensaßen und plauderten. Stoner nahm in einem Sessel Platz, der so zerbrechlich aussah, dass er nicht wagte, sich darauf zu bewegen; er meinte spüren zu können, wie der Sessel unter seinem Gewicht nachgab.
Edith war verschwunden; nahezu hektisch sah Stoner sich nach ihr um, doch kam sie beinahe zwei Stunden nicht wieder zurück in den Salon, sondern erst, nachdem Stoner und die Eltern ihr ›Gespräch‹ gehabt hatten.
Das
Weitere Kostenlose Bücher