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Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Williams
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saßen am Esstisch; Grace hatte sich entschuldigt und war mit einem Buch in Stoners Arbeitszimmer gegangen.
    »Wie meinst du das?«, fragte Edith.
    »Deine Freunde«, erwiderte William. »Sie sind schon seit einer Weile nicht mehr hier gewesen, und du scheinst auch nichts mehr mit dem Theater zu tun zu haben. Also frage ich mich, ob irgendwas nicht in Ordnung ist.«
    Mit einer fast männlichen Geste schüttelte Edith eine Zigarette aus der Packung neben ihrem Teller, steckte sie sich zwischen die Lippen und zündete sie am Stummel einer nur halb gerauchten Zigarette an. Dann inhalierte sie tief, ohne die Zigarette aus dem Mund zu nehmen, und legte den Kopf in den Nacken, sodass sie, als sie William ansah, die Augen zusammenkneifen musste, was ihr einen fragenden, berechnenden Blick verlieh.
    »Alles in Ordnung«, sagte sie. »Die Leute und ihre Arbeit fingen nur an, mich zu langweilen. Muss denn immer gleich irgendwas nicht stimmen?«
    »Nein«, erwiderte William. »Ich habe mich nur gefragt, ob du dich vielleicht nicht wohlfühlst oder so.«
    Er dachte nicht weiter über ihr Gespräch nach, stand kurz darauf vom Tisch auf und ging ins Arbeitszimmer, wo Grace an ihrem Tisch saß, vertieft in ein Buch. Das Licht der Tischlampe spiegelte sich in ihrem Haar und zeigte ihr schmales, ernstes Gesicht als klare Silhouette. Sie ist im letzten Jahr gewachsen, dachte William; und eine nicht unangenehme Traurigkeit ließ einen kleinen Kloß in seiner Kehle aufsteigen. Er lächelte und setzte sich leise an den Schreibtisch.
    Wenige Augenblicke später war er in seine Arbeit vertieft. Am Abend zuvor hatte er die Routineaufgaben erledigt, Seminararbeiten durchgesehen und Vorlesungen für die kommende Woche vorbereitet. Er dachte an den Abend, der sich vor ihm erstreckte, und an die vielen weiteren Abende, an denen er an seinem neuen Buch arbeiten konnte. Worüber er schreiben wollte, war ihm noch nicht genau klar; im Großen und Ganzen wollte er seine erste Studie sowohl zeitlich wie inhaltlich erweitern, wollte über die englische Renaissance arbeiten und die Einflüsse klassischen und mittelalterlichen Lateins auf diese Zeit einbeziehen. Er war in der Planungsphase, eine Phase, die ihm größtes Vergnügen bereitete – die Wahl zwischen unterschiedlichen Vorgehensweisen, die Entscheidung gegen bestimmte Strategien, das Geheimnisvolle und Ungewisse, das unerforschte Möglichkeiten barg, die Folgen seiner Entscheidungen … Was sich ihm an Perspektiven auftat, begeisterte ihn derart, dass er nicht länger stillsitzen konnte. Er stand vom Tisch auf, schritt auf und ab und begann aus einer unerfüllten Vorfreude heraus mit seiner Tochter zu reden, die von ihrem Buch aufsah und ihm antwortete.
    Sie spürte seine Stimmung, und etwas, das er sagte, brachte sie zum Lachen. Dann lachten sie zusammen, lachten so hemmungslos, als wäre sie beide Kinder. Plötzlich ging die Tür zum Arbeitszimmer auf, und das harsche Licht vom Wohnzimmer fiel bis in die letzten schattigen Winkel. Edith stand da, von diesem Licht umrahmt, und sagte langsam und deutlich: »Dein Vater versucht zu arbeiten, Grace. Du musst ihn nicht stören.«
    Einige Augenblicke lang waren William und seine Tochter über dieses unvermittelte Eindringen so verblüfft, dass sich keiner von beiden regte oder etwas sagte. »Ist schon gut, Edith«, konnte William schließlich hervorbringen. »Sie stört mich nicht.«
    Als hätte er nichts gesagt, fuhr Edith fort: »Hast du mich nicht gehört, Grace? Komm bitte sofort aus dem Zimmer.«
    Perplex erhob sich Grace von ihrem Stuhl und ging zur Tür. Mitten im Zimmer aber blieb sie stehen und sah erst ihren Vater, dann ihre Mutter an. Edith setzte an und wollte etwas sagen, aber William kam ihr zuvor.
    »Ist schon gut, Grace«, sagte er, so sanft er konnte. »Ist schon gut. Geh mit deiner Mutter.«
    Als Grace durchs Arbeitszimmer ins Wohnzimmer ging, sagte Edith zu ihrem Mann: »Dem Kind wird zu viel Freiheit gelassen. Es ist doch nicht normal, so still zu sein, so zurückgezogen; außerdem ist sie viel zu viel allein. Sie sollte mehr unternehmen und mit Kindern ihres Alters spielen. Merkst du denn nicht, wie unglücklich sie ist?«
    Sie schloss die Tür, ehe er antworten konnte.
    Lange Zeit regte er sich nicht, blickte auf den mit Notizen und aufgeschlagenen Büchern übersäten Schreibtisch, ging dann langsam durchs Zimmer und begann gedankenlos, diePapiere und Bücher zu ordnen. Mehrere Minuten stand er darauf nur da, die Stirn in

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