Stoner: Roman (German Edition)
dass Walker mit einem starren Grinsen im Gesicht in seine Richtung schlurfte. Während er polternd über die Holztreppe aus dem Keller nach oben hastete und auf der glatten Marmortreppe, die in den ersten Stock führte, immer zwei Stufen auf einmal nahm, wurde er das seltsame Gefühl nicht los, dass Walker beharrlich hinter ihm her schlurfte und versuchte, seine Flucht zu vereiteln. Scham und schlechtes Gewissen schlugen wie eine Welle über ihm zusammen.
Im zweiten Stock ging er direkt in Lomax’ Büro. Lomax unterhielt sich mit einem Studenten. Stoner steckte den Kopf durch die Tür und sagte: »Kann ich Sie eine Minute sprechen, Holly, wenn Sie so weit sind?«
Lomax winkte ihm freundlich zu. »Kommen Sie ruhig herein. Wir sind gerade fertig.«
Stoner trat ein und tat, als studiere er die Titel der Bücher auf den Regalen, während Lomax und der Student sich verabschiedeten. Kaum war der Student fort, setzte sich Stoner auf den Stuhl, der soeben frei geworden war. Lomax sah ihn fragend an.
»Es geht um einen Studenten«, sagte Stoner. »Charles Walker. Er behauptet, Sie hätten ihn zu mir geschickt.«
Lomax legte die Fingerspitzen aneinander, betrachtete sie und nickte. »Ja, ich glaube, ich habe angedeutet, dass ein Besuch Ihres Seminars für ihn sinnvoll sein könnte. Was war es noch gleich? – der Einfluss des Lateinischen?«
»Können Sie mir etwas über ihn erzählen?«
Lomax blickte von seinen Händen auf, schaute an die Zimmerdecke und schob nachdenklich die Unterlippe vor. »Ein guter Student. Ein überragender Student, wage ich zubehaupten. Schreibt seine Dissertation über Shelley und das hellenistische Ideal, und sie verspricht brillant zu werden, wirklich brillant. Wird zwar nicht das sein, was man gewöhnlich« – er zögerte, suchte bedachtsam nach dem Wort – » solide nennt, doch wird sie zweifellos höchst einfallsreich sein. Warum? Gibt es einen bestimmten Grund für Ihre Frage?«
»Ja«, sagte Stoner. »Er hat sich heute im Seminar ziemlich danebenbenommen, und ich habe mich gefragt, ob ich dem eine besondere Bedeutung beimessen soll.«
Lomax’ frühere Freundlichkeit war verschwunden, und die vertrautere Maske der Ironie hatte sich erneut über sein Gesicht gelegt. »Ach ja«, sagte er mit frostigem Lächeln. »Die Unvernunft und Taktlosigkeit der Jugend. Aus Gründen, die Sie gewiss verstehen werden, ist Walker auf eine linkische Weise eher schüchtern und deshalb manchmal zu defensiv oder im Ton auch zu bestimmend. Wie wir alle hat er so seine Probleme, nur will ich nicht hoffen, dass seine wissenschaftlichen und kritischen Fähigkeiten im Lichte seiner doch recht verständlichen psychischen Störungen beurteilt werden.« Er sah Stoner direkt an und fügte noch mit boshaftem Vergnügen hinzu: »Er ist ein Krüppel, wie Ihnen kaum entgangen sein dürfte.«
»Vielleicht liegt es daran«, erwiderte Stoner nachdenklich. Er seufzte und erhob sich von seinem Stuhl. »Ist wohl wirklich noch zu früh, um mir Sorgen zu machen. Ich wollte bloß mal bei Ihnen rückfragen.«
Mit einem Mal klang Lomax angespannt, und seine Stimme zitterte fast vor unterdrückter Wut. »Sie werden feststellen, dass er ein hervorragender Student ist. Ich kann Ihnen sogar versichern, dass Ihnen bald aufgehen wird, was für ein wirklich exzellenter Student er ist.«
Stoner musterte ihn kurz mit verblüfftem Stirnrunzeln, dann nickte er und verließ das Zimmer.
*
Das Seminar fand wöchentlich statt. Die ersten Sitzungen störte Walker mit Fragen und Kommentaren, die so weit ab vom Thema lagen, dass Stoner nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte. Bald wurden Walkers Fragen und Bemerkungen mit Gelächter oder deutlicher Missachtung seitens der Studenten selbst quittiert, sodass er nach wenigen Wochen gar nichts mehr sagte und nur noch mit steinerner Miene dasaß, während um ihn herum das Seminar ablief. Es wäre, dachte Stoner, ja amüsant, zeigte sich in Walkers Wut und Widerwillen nicht so etwas Nacktes.
Trotz Walker war es ein erfolgreiches Seminar, eines der besten, die Stoner je gehalten hatte. Fast von Anfang an wurde die Aufmerksamkeit der Studenten von den thematischen Verwicklungen gefesselt, und sie empfanden eine Entdeckerfreude, wie sie wohl nur aufkommt, wenn man spürt, dass die gestellten Fragen im Zentrum eines noch weit größeren Themenfeldes liegen und man, geht man dem Thema nach, zu Neuem geführt wird, auch wenn man nicht weiß, was dies sein mag. Das Seminar organisierte sich
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