STOP! (German Edition)
Seite mag ich sie, irgendwie. Sie bewegt sich oft dann, wenn ich wieder am Grübeln bin. So, als wolle sie mir einen Anstoß geben. Sie erinnert mich manchmal an mich, an die alte Saoirse. Wenn ich genervt bin, müde und mir schlecht ist, spüre ich oft keine ihrer Bewegungen. So, als wolle sie mich nicht noch mehr belasten. Manchmal habe ich das G e fühl, dass sie mich kennt, mehr als alle anderen, und dass sie weiß, was ich für sie fühle, oder auch nicht. Ich blicke auf die weiße Seite in meinem Laptop, wo der Cursor unaufhörlich blinkt. „Sie ist so rein und unschuldig.“ Es stimmt, das ist sie wirklich. Sie kann nichts dafür, dass sie da ist. Sie verdient Liebe und meine Aufmerksamkeit. Ich weiß nicht, warum gerade jetzt und hier, aber ich beschließe, mein Bestes für sie zu geben. Auch dann, wenn ich mich dafür aufgeben werde. Das werde ich schaffen. Denn sie kann für meine Gefühle nichts. Sie braucht einen Namen. „Reinheit“ und „Unschuld“, die Suchmaschine durchforstet das Internet. Es wird Zeit, dass sie einen Namen bekommt. Die Geburt rückt näher und auch die Zeit, in der ich mich endgültig von der alten Saoirse ve r abschieden werde, denn sie, und das weiß ich, kann nicht nur mich, sondern auch Jan und mein Kind kaputtmachen. Ich hoffe – und das meine ich ernst –, dass ich mich von der alten Saoirse, endgültig trennen kann. Ich klappe den Laptop zu.
Drei Wochen später ist es so weit. Ich liege bereits im Kreissaal. Die letzten Wochen waren wirklich kräftezehrend. Mein Versprechen, ein neues Leben zu beginnen, ist schwerer umzusetzen, als ich dachte. An manchen Tagen war ich glüc k lich, wenn ich mit Jan abends auf der Couch lag und er seine Hand auf meinem Bauch hielt. An anderen Tagen lag ich, wenn er auf der Arbeit war, heulend auf dem Boden und suchte im Internet nach den Adressen von Kliniken im Au s land, die irgendwie das Wesen in mir drin entfernen konnten. Ich schluckte Beruhigungstabletten, die mich ruhigstellen, wenn ich bereits die Koffer packte und einfach nur ve r schwinden wollte, um diesem Leben zu entfliehen. Manchmal konnte ich Jan nicht in seine Augen sehen, da ich mir wie eine Verräterin vorkam.
Und was ist passiert? Da liege ich nun. Im weißen Kittel, Jan neben mir, meine Hand haltend. Um mich herum Ärzte, Schwestern. Gleich wird es losgehen. Ich schaue Jan in die Augen. Ich bin bereit. „Ein Abenteuer, ab in die Fluten“, würde Eva sagen. Ob ich oben bleiben oder untergehen würde, weiß ich nicht. Die Wehen kommen nun öfters. Es gibt kein Zurück mehr. Ich hole tief Luft.
Dann ... Die Schwester reicht sie mir. Nur ein kleines Bündel. Sie hat nur ganz kurz geschrieen. Sie ist so ruhig. Ich nehme sie vorsichtig. Sie soll zu mir gehören? Ein Teil von mir sein? Ich spüre nichts und versuche es dennoch mit aller Kraft. Ist das nicht der Moment, der als glücklichster Moment beschrieben wird? Der einen alle Schmerzen vergessen lässt? Ich merke, wie die Fluten mich nach unten ziehen und wie ich mich dagegen wehre. Warum fühle ich nichts? Plötzlich öffnet sie die Augen. Grüne Augen, die mich aufmerksam begu t achten. Sie beginnt zu lächeln. Ich zittere, es sind Jans Augen. Es kribbelt in meinem Bauch. Die Strömung, die mich nach unten zieht, wird weniger. Es ist ein Kribbeln in meinem Bauch. Kein Zeichen großer Liebe, doch es ist ein Zeichen von Zuneigung. Ein Anfang. Ich spüre Jans Hand, die mir leicht über die Schulter streicht. Er wird mir helfen, auch wenn er es nicht weiß. Es wird ein Kampf gegen mich selbst. Wer gewinnen wird, weiß ich nicht. Das kleine Wesen kann meine Medizin, aber auch gleichzeitig die größte Waffe gegen mich sein. Die Schwester fragt nach ihrem Namen. Ich wende den Blick nicht von ihr ab. „Susi, von Susanna, so soll sie heißen.“
Susi ist schon zweieinhalb Jahre alt. Wie die Zeit so ve r geht. Seit ein paar Monaten kann sie erst laufen und schon ist sie unser kleiner Wirbelwind. Sie will die ganze Zeit immer alleine laufen, oft sieht man nur noch die blond gelockten Haare um die Ecke fliegen. Obwohl sie noch so klein ist, weiß sie genau, was sie will und was nicht. Susi, mein Unschuld s engel mit den blonden Locken. Ich erkenne mich wieder in ihr. Früher wusste ich auch schon genau, was ich wollte. An eine Geschichte aus meiner Kindheit kann ich mich noch genau erinnern. Mein Vater und ich standen in einem Ba u markt vor dem Posterregal. Es gab ganz viele Poster, doch ich wollte nur eins. Es war
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