Stop Me - Blutige Botschaft (German Edition)
Jahren hab ich in den Nachrichten gesehen, dass er entlassen worden ist.”
Ob ihr Vater Kimberlys Entführer erschossen hätte, wenn er die Gelegenheit dazu gehabt hätte? Durchaus möglich. Dann versetzte sie sich in Forniers Lage.
Würde sie je das Gesetz in die eigenen Hände nehmen? Gerechtigkeit einfordern, egal um welchen Preis? Was für ein Mensch wäre sie nach solch einer Tat? Sie konnte Selbstjustiz nicht gutheißen. Aber wenn sie sicher wäre – so sicher wie Fornier es offenbar gewesen war –, dass sie den Mann, der ihre Schwester brutal ermordet hatte, freilassen würden …
“Fornier ist kein Durchschnittstyp”, sagte der Hotelbesitzer. “Er war früher beim Sondereinsatzkommando der Armee.”
“Ob er es wohl bedauert, abgedrückt zu haben?” Sie hatte die Frage mehr an sich selbst gerichtet, trotzdem antwortete Cabanis.
“Ich glaube nicht. Das Gefängnis hat ihn noch zäher gemacht, als er ohnehin schon war. Als seine Tochter verschwunden war, wandte er sich mit der Bitte um Hilfe an die Öffentlichkeit, doch als er wieder rauskam, wollte er nichts mehr mit ihr zu tun haben. Ich habe einen Beitrag gesehen, in dem er sein Gesicht abgewandt und jeden Kommentar verweigert hat. Erst, nachdem ein Reporter ihn in die Ecke gedrängt hat, schaute er direkt in die Kamera und sagte: ‘Ich würde es wieder tun.’”
Jasmine rieb sich die Gänsehaut auf ihrem Arm fort. “Wissen Sie, wie Fornier es geschafft hat, Moreaus Spur aufzunehmen?”
“Tut mir leid, mit Einzelheiten kann ich nicht dienen.”
“Danke.” Jasmine lächelte, als sei Forniers Geschichte nur eine weitere schaurige Erzählung, die unbeteiligte Zuhörer faszinierte. Doch was diese Geschichte bei ihr hinterließ, war weit mehr als ein wohliges Gruseln. Früher hatte sie befürchtet, ihr Vater könnte einen ähnlichen Pfad einschlagen; jetzt spürte sie, wie sich in ihr selbst das Verlangen nach Rache regte.
Stop me.
Wie weit würde sie gehen, um diese Bitte zu erfüllen?
3. KAPITEL
In den Gelben Seiten war in der Rubrik “Gerichtliche Berater” eine Zeichnerin aufgeführt, aber Jasmine zögerte. Sollte sie auf das Talent einer Frau vertrauen, die Rayne Gulley hieß? Es musste sich doch um einen Druckfehler oder einen Witz handeln! Wer wollte schon “Gulli” heißen? Als sie jedoch die Nummer wählte und mit Mrs. Gulley sprach, klang diese wider Erwarten kompetent und erfahren.
“Ich zeichne seit fast vierzig Jahren”, sagte sie. “In dieser Zeit habe ich mehr als zweitausend Phantomzeichnungen erstellt, und glauben Sie mir, ich habe jede Menge interessante Menschen dabei kennengelernt.”
“Ich würde einen Mann beschreiben, den ich vor sechzehn Jahren gesehen habe”, bekannte Jasmine.
“Wir reden also von einer Alterssimulation.”
“Ja. Und vermutlich sollte ich Ihnen auch sagen, dass ich erst zwölf war, als er zur Tür hereinkam.”
“Ich bin sicher, dass Sie sich noch gut erinnern können.”
“Ich denke schon.” Was für eine Erleichterung, das einfach nur auszusprechen! Jasmine war zuversichtlich, dass sie endlich die Züge des Bärtigen genau genug beschreiben könnte, um eine Skizze erstellen zu lassen, die ihm ähnlich sah. In den ersten Jahren nach Kimberlys Entführung hatten ihre Eltern und die Polizei sie zu mehreren Zeichnern gebracht. Aber egal, wie viel Mühe sie sich gab: Bei jeder Sitzung kam nur ein weiteres Bild heraus, das ihm nicht im Geringsten ähnelte. Die permanenten Fehlschläge hatten so viel Frustration und Stress erzeugt, dass Jasmine mit Angststörungen ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. An diesem Punkt hatte der Arzt ihren Eltern verboten, in ihrer Gegenwart über die Entführung zu sprechen. Er riet ihnen, zu akzeptieren, was geschehen war, das Leben weiterzuleben und sich besser um die Tochter zu kümmern, die ihnen geblieben war. Es war, als hätten sie Jasmine beinahe vergessen. Doch nichts, was er sagte, hatte etwas geändert. Ihre Eltern waren nur noch die Hüllen der Menschen, die sie einst gewesen waren. Ihre Mutter begann, zu beklagen, dass sie außerhalb ihrer Rasse und ihrer Religion geheiratet hatte – und ihr Vater erwiderte mit dem Vorschlag, sie könne ja zurückgehen zu “ihren Leuten”.
Nach ihrem Krankenhausaufenthalt konnte Jasmine sich das Gesicht des Kidnappers nicht mehr vorstellen. Er war zu einer verschwommenen Gestalt mit Bart geworden, das war alles. Und die Drogen, die sie als junge Erwachsene genommen hatte, ließen das Bild nur
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