Stop saying Goodbye: Roman (German Edition)
merkwürdig. Genau in diesem Moment hatte ich auf einmal das Gefühl, ich müsste auf der Stelle losheulen. Und zwar nicht einfach bloß heulen, nein, laut und verzweifelt weinen, heiße, wütende Tränen, die einem in den Augen brennen und die Kehle verätzen. Tränen, die man eigentlich nur weint, wenn man ganz allein ist. Wenn man weiß, niemand kann einen sehen oder hören, nicht einmal der Mensch, wegen dem man weint.
Vor allem
dieser Mensch nicht.
»Deshalb bist du seit Neuestem mit der Stadträtin zusammen«, sagte ich langsam.
»Wir sind bloß ein paarmal miteinander ausgegangen«, erwiderte er.
»Weiß sie schon Bescheid, wegen Hawaii?«
Er stutzte, warf mir einen forschenden Blick zu. »Da gibt es nichts zu wissen. Wie oft soll ich es noch wiederholen? Bisher ist nichts Konkretes geplant.«
»Bloß dass die Fleischbestellung jetzt von Woche zu Woche aufgegeben wird, nicht mehr monatlich«, konterte ich. Er sah mich perplex fragend an. »Kein gutes Omen für das
Luna Blu
. Denn es bedeutet, euch geht entweder das Geld aus oder die Zeit läuft euch davon. Oder beides.«
Er lehnte sich zurück, schüttelte halb ungläubig, halb anerkennend den Kopf. »Dir entgeht nichts, stimmt’s?«
»Ich wiederhole nur etwas, das du in Petree einmal zu mir gesagt hast«, antwortete ich. »Oder in Montford Falls.«
»Petree«, antwortete er. »In Montford hatten sie sowohldas Geld als auch die Zeit. Deshalb haben sie es ja auch geschafft.«
»Und das
Luna Blu
wird es nicht schaffen«, sagte ich gedehnt.
»Wahrscheinlich nicht.« Er rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht, ließ sie dann wieder sinken, schaute mich an. »Was ich vorhin sagte, war allerdings ernst gemeint. Du kannst so kurz vor Ende deiner Schulzeit nicht einfach deinen Kram zusammenpacken und einmal um die halbe Welt ziehen. Deine Mutter würde da nie im Leben mitmachen.«
»Ist trotzdem nicht ihre Entscheidung.«
»Warum möchtest du nicht nach Hause?«, fragte er.
»Weil es nicht mehr Zuhause ist«, erwiderte ich. »Seit drei Jahren nicht mehr. Außerdem kommen Mom und ich zwar wieder besser miteinander aus, was aber noch lange nicht heißt, dass ich bei ihr wohnen möchte.«
Erneut rieb Dad sich mit der Hand übers Gesicht, ein untrügliches Zeichen dafür, dass er erschöpft und gefrustet war. »Ich muss jetzt los, ins Restaurant.« Er stand auf, ging zur Haustür. »Denk wenigstens darüber nach, okay? Wir können heute Abend weiterdiskutieren.«
»Mom holt mich um vier ab, wir fahren zusammen ans Meer, schon vergessen?«
»Dann eben, wenn du zurückkommst. Momentan müssen wir überhaupt noch keine Entscheidung fällen.«
Er wandte sich ab, ging in den Flur. Ich sagte hastig: »Ich kann nicht wieder dahin zurück! Du verstehst das nicht. Ich bin nicht …«
Er blieb stehen, drehte sich wieder zu mir um, wartete darauf, dass ich meinen Satz vollendete. Und mir wurde klar: Ich konnte nicht. In meinem Kopf setzte sich der Satz auf vielerlei Weise fort, es gab Millionen Möglichkeiten:
Ich
bin nicht mehr dasselbe Mädchen wie früher, ich bin nicht sicher, wer ich eigentlich bin
… Doch was auch immer ich jetzt gesagt hätte, hätte bloß zu weiteren Verwicklungen und langwierigen Erklärungen geführt.
Dads Handy begann zu klingeln, doch er machte keinerlei Anstalten, das Gespräch anzunehmen. Sah mich stattdessen unverwandt an. »Du bist was nicht?«, fragte er.
»Nichts.« Ich deutete auf das Handy. »Vergiss es.«
»Bleib bitte, wo du bist. Wir sind hier noch nicht fertig«, sagte er, während er sein Handy nahm und aufklappte. »Gus Sweet. Ja, hallo. Nein, ich bin unterwegs …«
Doch beim Telefonieren verließ er nicht das Haus, sondern lief durch den Flur zu seinem Schlafzimmer. Ich blickte ihm nach. Kaum war er nicht mehr zu sehen, schnappte ich mir meinen Rucksack und verzog mich.
Die Luft war frisch und klar; ich atmete tief durch und hatte das Gefühl, sie würde meine Lungen füllen wie Wasser. Ich lief ums Haus herum, denn dahinter fing meine Abkürzung zur Bushaltestelle an. Das Gras unter meinen Füßen war klatschnass, meine Wangen prickelten, ja, brannten fast. Ich durchquerte unseren Garten, stieg über das Mäuerchen auf das Nachbargrundstück mit dem leer stehenden alten Haus.
Es war von einer feinen Frostschicht überzogen und sah dadurch noch einsamer und verlassener aus als sonst. Als ich halb daran vorbei war und in der Ferne vor mir bereits die Bushaltestelle sehen konnte, blieb ich stehen, beugte
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