Stoppt die Hochzeit!
erlesener Speisen herunter. Annabelle starrte sie an und versuchte, ihr zuzuhören, aber ihre Gedanken schweiften immer wieder ab, und sie erinnerte sich an die Zeiten, als ihre Mutter ihr gegenüber am abgenutzten Esstisch der Familie saß und Rezepte durchging, um ein Festmahl für den Vierten Juli oder Thanksgiving zu zaubern. Das Leben der vollendeten Hausfrau und Matriarchin Belle Coakley drehte sich um ihren Ehemann, ihre Tochter und ihre Nachbarschaft. Soweit sie wusste, hatte ihre Mutter noch nie einen Fuß in dieses Einkaufszentrum gesetzt. Sie hatte die Atmosphäre als zu teuer und vornehm empfunden und bevorzugte die Discountläden und Ausverkäufe in der Vorstadt.
Jetzt trug sie teures Make-up und Designerjeans – Jeans , um Himmels willen – und wirkte unglaublich glücklich. Ein plötzlicher Schmerz traf Annabelle ins Herz. Wenn all der Glanz, den Martin Castleberry ihr bieten konnte, ihre Mutter glücklich machte, war Belle dann mit ihrem Leben an der Seite ihres Vaters unglücklich gewesen?
»Annabelle?«
Sie musste blinzeln, ehe das Gesicht ihrer Mutter scharf wurde.
»Geht es dir gut, Liebes?«
»Es … es ging mir nie besser.«
»Ist in deinem Büro alles in Ordnung?«
»Hm? Oh, ja. Mike hat gemeint, es wäre ziemlich ruhig. Sie passt für mich auch auf Shoakie auf.«
»Das ist nett von ihr.« Ihre Mutter hob in einer übertriebenen Geste die Schultern. »Ich verstehe nicht, warum so schöne Frauen wie ihr noch nicht von einem Ehemann weggeschnappt worden seid.«
»Mom …«
»Und wo wir gerade davon reden, ich hab etwas für dich, Liebes.«
Ihre Mutter kramte in ihrer riesigen, schwarzen Umhängetasche, und Anabelle befürchtete schon, sie würde einen ein Meter achtzig großen Buchhalter rausziehen. Stattdessen holte Belle eine schwarze, samtene Ringschatulle mit silberner Schleife hervor und reichte sie ihr.
»Was ist das?«
»Mach es auf.«
Verdutzt öffnete Annabelle die Schleife und hob den Deckel. Ein vertrauter kleiner, eckiger Diamant in einer weißgoldenen Fassung funkelte sie an, und ihre Kehle schnürte sich zusammen. »Dein Verlobungsring?«
Belle nickte. »Ich will, dass du ihn bekommst, und ich weiß, dass dein Vater mir zustimmen würde.«
Annabelle blinzelte hastig und schüttelte den Kopf. »Aber Daddy hat den Ring dir gegeben …«
Ihre Mutter unterbrach sie. »Er sollte sowieso eines Tages dir gehören, und so kannst du ihn noch viele Jahre lang tragen. Guck mal, ob er passt.«
Mit zitternden Händen steckte Annabelle ihn sich auf den linken Ringfinger. Sie fühlte sich geehrt, dass sie das Symbol des Eheversprechens ihrer Eltern tragen durfte, aber es beunruhigte sie auch zu sehen, dass er die Hand ihrer Mutter verließ. »Er ist ein bisschen zu groß«, murmelte sie. Sie konnte ihn ganz leicht drehen.
»Wir lassen ihn ändern.« Ihre Mutter nickte beifällig. »Er sieht an deinen schlanken Fingern wirklich gut aus. Und es ist noch genug Platz für andere Ringe«, fügte sie mit einem Augenzwinkern hinzu.
Annabelle schluckte, aber der Klumpen blieb in ihrem Hals. »Danke.«
Ihre Mutter griff nach ihrer Hand. »Gern geschehen.«
Sie starrte die Hand ihrer Mutter an, und eine Frage, die ihr gestern in den Sinn gekommen war, ließ sich nicht länger zurückhalten. »Wo ist dein …?« Röte schoss ihr ins Gesicht, und die Worte erstarben auf ihren Lippen, als ihr bewusst wurde, dass sie die Antwort vermutlich gar nicht hören wollte.
»Mein Ehering?«, beendete Belle den Satz. »Ich habe ihn abgenommen.« Sie zog ihren neuen Verlobungsring zum Knöchel und zeigte ihr die Kerbe, die der Ring, den sie mehr als dreißig Jahre getragen hatte, hinterlassen hatte. Ein warmes Lächeln spielte um ihren Mund. »Aber er wird mir immer nah sein.«
Schmerzen schossen durch Annabelles Brust und hinterließen eine breite, raue Furche. Der Protest lag ihr schon auf der Zunge. Nein, trenn dich nicht von Daddys Dingen … vergiss dein Leben mit ihm nicht … vergiss nicht, wer du bist. Stattdessen starrte sie diese fremd gewordene, elegante Version ihrer Mutter an und fragte sich, wie viel sie noch von ihr verlieren würde, bevor das alles hier vorbei war.
Eine Kellnerin brachte ihnen frisch gepressten Orangensaft an den Tisch, nahm ihre Bestellung entgegen und unterbrach so den bittersüßen Moment. Während ihre Mutter eine komplizierte Bestellung aufgab – sie zählte, wie viel Gramm Fett sie zu sich nahm –, nahm Annabelle den Ring ab und verstaute die Schatulle in
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