Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
wird zunehmend gruseliger. Ich beschleunige meinen Schritt und laufe direkt über ein älteres Grab, um eine Abkürzung zu nehmen. Ich raune ein gedämpftes ‚Sorry‘ zu dem Inhaber der Parzelle. Er nimmt die Entschuldigung nicht an. Ich kann es ihm nicht verübeln. Meine Ohren sind gespitzt. Ich lausche wie eine Eule in alle Himmelsrichtungen gleichzeitig. Mein rechter Fuß zertritt einen Ast, der am Boden liegt. Er zerbricht. Gleich danach raschelt etwas in meinem Rücken. Hat mich jemand entdeckt?
Ich werfe mich sofort auf den Boden und fange mein Gewicht mit dem linken Arm ab. Der Fall erschüttert meinen Körper. Lebensnotwendige Luft entweicht meinen Lungen. Mit letzter Kraft krabble ich hinter einen Grabstein und kauere mich wie ein Fötus zusammen. Ich atme hektisch die kühle Luft und lausche in die Dunkelheit hinein.
Wieder vernehme ich ein leichtes Rascheln. Aber ich sehe keinen Lichtkegel einer Taschenlampe, d er nach ungebetenen Gästen Ausschau hält. Ich wage einen zaghaften Versuch, mich umzusehen. Mein Kopf lehnt sich um die Ecke des Grabsteins. Nein, da ist kein missmutiger Nachtwächter, der seine Runde über den Gottesacker streift. Ich muss mir die Geräusche nur eingebildet haben. Die Phantasie kann dir böse Streiche spielen, wenn du dich an so einem unheimlichen Ort aufhältst. Ich wische mir den Schweiß von der Stirn und will aufstehen.
Doch plötzlich ist das wilde Rascheln zurück. Es ist lauter, kommt aus der Nähe. Die Quelle des Geräuschs pirscht sich von rechts an mich heran. Mein Herz bleibt förmlich stehen; ich wirble herum. Etwas hat sich neben mich gesetzt. Es beobachtet mich. Es ist … es ist …
… nur eine Katze. Sie ist schwarz und hat weiße Pfoten. Ihre Augen funkeln neugierig im Mondlicht. Sie mauzt mich fragend an. ‚Was machst du hier? Hast du was zum Essen dabei?‘
Ich lege meine Angst ab und atme erleichtert aus. Meine linke Hand war im ersten Schreck reflexartig zu der Waffe gewandert, die ich in meinem Hosenbund versteckt habe. Ich lasse den Griff los. Mühsam hebe ich meinen rechten Arm und streichle der Katze über den flauschigen Rücken.
Sie schnurrt sofort und schwänzelt mir um die Beine herum. Es ist ein zahmes Haustier und kein böser Geist, der mich zerfleischen will.
» Du hättest mich fast zu Tode erschreckt, du Streuner«, flüstere ich dem Tier zu.
Die Katze mauzt als Antwort : ‚War nicht meine Absicht. Und kraul mich gefälligst weiter!‘
Ich lächle und stehe auf.
Das Tier stößt ein enttäuschtes Fauchen aus. ‚Hey, so haben wir nicht gewettet, Kumpel!‘
Ich beuge mich noch mal zu der Katze herunter und tätschle ihren Kopf. »Pass schön auf, Miezi, dass mir niemand in die Quere kommt!«
Sie schaut wissend mit ihrer liebenswerten Fratze zu mir auf.
Ich ka nn mir nicht helfen: Ich liebe Katzen. Es sind majestätische Tiere mit einem eigenen Willen. Sie lassen sich nicht dressieren wie unterwürfige Hunde. Und sie haben diese rätselhaften Augen. Unergründlich und tief. Manchmal denke ich, dass diese Tiere schlauer sind, als wir es von ihnen annehmen. Durch meine längeren Auslandsaufenthalte erlaubt mir mein Job keine Haustiere, aber wenn ich eins hätte, dann wäre es definitiv eine Katze.
Ich lege die restlichen Meter zu Pias Grab im Eiltempo zurück. Ich hocke mich davor und lese noch mal die Inschrift des weißen Steins, um auf Nummer sicher zu gehen. Mein Orientierungssinn hat mich nicht im Stich gelassen. Ich bin richtig. Es kann also losgehen.
In einem gewissen Sicherheitsabstand sitzt die schwarze Katze neben dem Grab und verfolgt mein Treiben. Ihr Schwanz schlängelt sich erwartungsfroh über den Boden. Sie sieht, wie ich mit bloßen Händen den lockeren Boden von Pias Grab durchwühle, die frischen Tulpen in der Luft zerreiße und schließlich ihren Grabstein mit einem kräftigen Fußtritt umstoße. Alles soll aussehen wie ein Streich von frustrierten Jugendlichen. Sinnlose Zerstörungswut an allen Ecken und Enden. Die Katze ist mein Komplize. Sie verfolgt die Grabschändung mit reinem Gewissen und wird mich nicht verpetzen. In ihren Augen spiegelt sich meine Hand, als ich auch noch die letzte Pflanze aus Pias Ruhestätte reiße. Sie bewegt sich keinen Millimeter von ihrem Platz weg. Auch die Verwüstung des Grabes neben Pia lässt das Tier kalt. Die Katze beobachtet mich und denkt sich ihren Teil schweigend dazu.
Ich würde zu gerne wissen, was sie von mir hält.
Nach einer kurzen Nacht habe mein
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