Storm: Thriller (German Edition)
spielte mir den Ball zu, indem er mir eine für solche Situationen typische Frage stellte.
»Also, wie sind Sie zur Polizei gekommen?«, wollte er wissen. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, dass ich das frage.«
Ich lächelte in mich hinein. Wenn es etwas gab, was mich störte, dann die Tatsache, dass er es mit der Kumpel-Masche ein bisschen zu sehr übertrieb.
»Mit Hollywood hat es nicht geklappt und mit der NBA auch nicht«, gab ich zurück. »Und Sie?«
»Sie wissen ja. Die vielen Reisen in exotische Länder, die tollen Arbeitszeiten …«
Zum ersten Mal entlockte er mir ein Lachen. Ich hatte schon vorher beschlossen, dass ich nicht den ganzen Abend neben ihm sitzen und ihn hassen würde. Es wäre sonst die reinste Folter gewesen.
»Ich verrate Ihnen mal was«, sagte er dann. »Wenn mein Leben anders gelaufen wäre? Ich glaube, ich hätte auch einen ganz guten Bösewicht abgegeben.«
»Lassen Sie mich raten«, erwiderte ich. »Sie haben den perfekten Mord im Kopf.«
»Sie nicht?«, gab Siegel zurück.
»Kein Kommentar.« Ich machte den Deckel meines zweiten Kaffeebechers auf. »Aber das geht ja den meisten Polizisten so. Zumindest das perfekte Verbrechen.«
Nach einer weiteren längeren Pause sagte er: »Wie wär’s damit: Wenn Sie jemanden umbringen könnten – jemanden, der es wirklich verdient hat – und Sie wüssten, dass man Sie nicht erwischt, wären Sie dann in Versuchung?«
»Nein«, entgegnete ich. »Das ist mir zu gefährlich. Das habe ich mir schon mal überlegt.«
»Na, kommen Sie …« Siegel lachte und lehnte sich mit dem Rücken an die Tür, sodass er mich direkt anschauen konnte. »Sagen wir mal, Sie und Kyle Craig, alleine in einer dunklen Gasse. Keine Zeugen. Er hat seine ganze Munition verschossen, und Sie haben immer noch Ihre Glock. Wollen Sie mir wirklich erzählen, dass Sie nicht abdrücken würden?«
»Ganz genau«, meinte ich. Dass er ausgerechnet Kyle erwähnte, fand ich zwar ein bisschen seltsam, ging aber nicht weiter darauf ein. »Das Bedürfnis hätte ich vielleicht schon, aber ich würde es nicht machen. Ich würde ihn hinter Gitter bringen. Am liebsten zurück ins Hochsicherheitsgefängnis in Florence.«
Er schaute mich an und grinste, als wartete er darauf, dass meine Fassade in sich zusammenfiel.
»Ernsthaft?«, sagte er dann.
»Ernsthaft.«
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das glauben soll.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Was soll ich Ihrer Meinung nach denn sagen?«
»Dass Sie ein menschliches Wesen sind. Na, kommen Sie, Alex. In diesem Geschäft kann man doch gar nicht überleben, ohne zumindest eine kleine dunkle Seite zu haben.«
»Absolut richtig«, sagte ich. »Hab ich alles erlebt und mitgemacht. Ich sage bloß, dass ich nicht abdrücken würde.« Ich war mir zwar nicht hundertprozentig sicher, ob das so stimmte, aber mit Siegel wollte ich diese Frage nicht diskutieren.
»Interessant«, sagte er und wandte sich wieder nach vorn, dem Midlands zu. »Sehr interessant.«
103
Jedes Wort war gelogen. Alex war ein guter Lügner, aber trotzdem: Alles Lüge . Wenn er nur den Schimmer einer Ahnung hätte, dass er jetzt in diesem Augenblick Kyle Craig gegenübersaß, er hätte sofort seine Glock in der Hand und eine Sekunde später eine Patrone weniger im Magazin gehabt.
Aber genau das war ja der Knackpunkt, oder etwa nicht? Cross hatte keine Ahnung. Daran konnte es schon lange keinen Zweifel mehr geben. Etwas noch Köstlicheres war doch beim besten Willen nicht vorstellbar, oder? Nein, auf keinen Fall.
Kyle nippte an seinem Kaffee und machte weiter. »Darum geht es hier ja im Prinzip auch, stimmt’s?«, sagte er spontan. Interessant … Siegels Redeweise und sein Tonfall waren ihm mittlerweile vertrauter als sein eigener.
»Wie meinen Sie das?«, wollte Cross wissen.
»Na ja, das mit den Füchsen im Hühnerstall . Freund und Feind sind irgendwie durcheinandergeraten. Die Linie zwischen Gut und Böse ist nicht mehr so eindeutig zu erkennen.«
»Das trifft zu«, sagte Cross. »Allerdings eher für das FBI als für das Police Department.«
»Ich meine überall«, sagte Kyle. »Der korrupte Kongressabgeordnete. Der habgierige Vorstandsvorsitzende, dem die ersten zehn Millionen einfach nicht reichen. Oder, verdammt noch mal, irgendwelche Terrorzellen, getarnt als brave Bürger. Wo liegt da der Unterschied? Alle leben sie mitten unter uns, direkt vor unserer Nase. So, als wäre die Welt einmal schwarz-weiß gewesen und jetzt ganz grau geworden, wenn man
Weitere Kostenlose Bücher