Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
auch zu Hause in Österreich verborgen? War sie aus Angst vor Entdeckung über die Grenze geflohen, um in Deutschland den Eingriff vornehmen zu lassen? Dann brauchte sie einen Helfer, einen Verwandten, der sie in der Fremde im Bayerischen Wald unterstützte. Der Mann, der sie an jenem Abend vor zwanzig Jahren vom Gasthaus abgeholt hatte. War dieser Mann auch der Mörder? Es fehlte ein klares Motiv. Vielleicht war es zum Streit gekommen. Vielleicht war der Mann zudringlich geworden, und Eva hatte ihn zurückgewiesen.
Oder der Unbekannte, mit dem sich Eva an diesem Tag verabredet hatte, war ihr Freund gewesen. Ihr Liebhaber. War das Ungeborene das Motiv für das Verbrechen? Die Schwangerschaft, die dem Partner ungelegen kam? Eine Auseinandersetzung darüber, das Kind zur Welt zu bringen oder nicht? Doch wer war dieser Mister X?
Baltasar raufte sich die Haare. Wie der Kommissar richtigerweise gesagt hatte, waren das alles nur Spekulationen. Er rief Wolfram Dix an und informierte ihn über seinen Fund, versprach, das Buch des Doktors sofort nach Passau zu schicken, ermahnte die Herren Kriminaler jedoch, den Fall endlich mit mehr Nachdruck anzugehen, eine Vermisstenanfrage nach Österreich zu schicken und nach einer Eva H. suchen zu lassen.
Ein Gedanke quälte Baltasar: Trotz aller Bemühungen blieb Eva ein Phantom. Niemand kannte bis jetzt ihre wahre Identität. Das einzig Greifbare blieb der Name. Wer um alles in der Welt war dieses Mädchen?
35
V ictoria Stowasser servierte Weißwürste mit selbst gemachtem süßem Senf und Sesambrezn. Seit zwei Tagen war das Gasthaus wieder geöffnet.
»Dann ist nunmehr alles in Ordnung?« Baltasar schnitt die Wurst der Länge nach auf und teilte sie in zwei Hälften – für die Fundamentalisten unter den bayerischen Weißwurstessern ein Sakrileg, aber ihm war das egal. Er bat die Wirtin, sich zu ihm zu setzen. Er mochte den Glanz ihrer Haare, ihre trotz der Küchenarbeit feinen Hände, ihr Lächeln, das einen entwaffnete.
»In Ordnung?« Victoria Stowasser schaute ihn als, als habe er gerade die erste Pforte der Hölle geöffnet. »Von wegen. Die Lebensmittelkontrolleure haben nichts gefunden, rein gar nichts. Das habe ich jetzt schriftlich. Ich werd’s mir rahmen und dem Herrn Bürgermeister eine Kopie schicken. Die kann er sich dann sonst wo hinschieben.«
»Ja und?«
»Dieser Mistkerl hat mir heute eine Mahnung durch seine Sekretärin schicken lassen. Meine Gäste würden zu viel Lärm machen, wenn sie nachts heimfahren. Anrainer hätten sich beschwert. Wenn ich nicht für Ruhe sorge, würde die Sperrstunde auf zwanzig Uhr vorverlegt. Pah!«
»Mit Ihrer Unterschriftenliste haben Sie ihm einen Tritt vors Schienbein versetzt. Jetzt schlägt er zurück. Ich habe mir übrigens die Baustelle angesehen. Das wird ein Riesenkasten, King Kongs Spielzimmer in Beton. Schrecklich!« Er berichtete von dem Treffen mit dem Bürgermeister und den Investoren.
»Noch ist es nicht zu spät. Soviel ich gehört habe, sind die Verträge noch nicht unterzeichnet.« Victoria Stowasser strotzte vor Kampfgeist. »Ich werde mir ein Plakat umhängen und mich vor der Tür des Rathauses anketten! Oder mir auf den nackten Bauch die Parole ›Wohlrab weg!‹ malen und ihn bei seinem nächsten öffentlichen Auftritt wie ein Schatten verfolgen.«
»Da helf ich Ihnen danach beim Saubermachen.« Baltasar grinste. »Aber im Ernst, ich denke, Sie sollten sich auf andere Aktionen verlegen. Ich unterstütze Sie dabei.«
»Derzeit sind keine Wahlen, der Bürgermeister hat also nichts zu befürchten. Und ich habe keine Möglichkeit, ihn zum Einlenken zu zwingen. Mir bleibt nur der Protest.«
»Als ich gesehen habe, wie viel Wald für das Bauprojekt vernichtet wird, ist mir eine Idee gekommen. Sie ist noch nicht ausgereift, lassen Sie mir ein wenig Zeit. Es könnte funktionieren.«
Kaum war er im Pfarrheim, erhielt er einen Anruf aus Passau. »Ich habe gute Nachrichten für Sie, Herr Senner.« Daniel Moor klang ausgelassen. »Wollen Sie zuerst die gute oder die richtig gute Nachricht hören?«
»Die richtig gute.«
»Ich habe nicht nur einen Namen für Sie, sondern zwei. War eigentlich ganz einfach. In der Buchhaltung habe ich nach der Spendenquittung gesucht. Demnach hat ein gewisser Nepomuk Hoelzl drei Viertel des Kaufpreises aufgebracht. Ein Viertel übernahm eine Lydia Schindler. Hilft Ihnen das weiter?«
»Wunderbar. Aber behalten Sie die Namen für sich. Und was ist die gute Nachricht?«
»Ich
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