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Stout, Maria

Stout, Maria

Titel: Stout, Maria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Soziopath von nebenan
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Familienmitgliedern einzugehen. Sie neigen dazu, sich zu
entziehen, sowohl auf emotionaler als auch körperlicher Ebene, und natürlich
verhalten sich Kinder mit Beziehungsstörungen genauso. Aber völlig im Gegensatz
zu der Situation des bedauernswerten beziehungsgestörten Kindes ist die
familiäre Verweigerung des jungen Soziopathen sehr viel wahrscheinlicher das Ergebnis seiner
Lebenseinstellung als deren Ursache.
    Insgesamt
haben wir also eine gewisse Vorstellung von einem der neurobiologischen
Defizite, die der Soziopathie zugrunde liegen könnten. Die untersuchten
Soziopathen haben eine signifikante Abweichung gezeigt in ihrer Fähigkeit,
emotionale Informationen auf der Ebene der Großhirnrinde zu verarbeiten. Und
aufgrund von Erblichkeitsstudien können wir spekulieren, dass das
neurobiologische Fundament der wesentlichen Persönlichkeitsmerkmale von
Soziopathie mit einem Anteil von bis zu 50 Prozent erblich ist. Die
verbleibenden Ursachen, die anderen 50 Prozent, sind sehr viel
undurchsichtiger. Weder Missbrauch im Kindesalter noch Beziehungsstörungen
scheinen den Einfluss der Umwelt auf das lieblose, manipulative und selbstgerechte Dasein zu erklären, das Psychologen als Soziopathie
bezeichnen. Der Einfluss nichtgenetischer Faktoren auf die Entstehung dieser
tiefgreifenden Störung - und sie haben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
einen Einfluss - bleibt zum großen Teil rätselhaft. Die Frage bleibt: Nachdem
ein Kind mit dem Handicap dieses neurologischen Webfehlers geboren ist -
welche Umwelteinflüsse bestimmen, ob es später die vollen Symptome der
Soziopathie zeigen wird oder nicht? Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wissen wir es
einfach nicht.
     
    Kultur
     
    Es ist
sehr gut möglich, dass die Einflüsse der Umwelt auf Soziopathie in stärkerem
Maße von allgemeinen kulturellen Aspekten abhängen als von spezifischen
Faktoren der Kindeserziehung. In der Tat ist es für Forscher bisher ergiebiger
gewesen, das Auftreten von Soziopathie mit verschiedenen Kulturkreisen in
Beziehung zu setzen, als in bestimmten Variablen der Kindeserziehung Antworten
zu suchen. Anstatt das Produkt von Kindesmissbrauch in der Familie oder von
Beziehungsstörungen zu sein, spielt vielleicht eine wie auch immer geartete
Wechselwirkung zwischen der angeborenen neurologischen Verdrahtung von
Individuen und der Gesellschaft, in der sie dann leben, eine Rolle für die
Entstehung von Soziopathie.
    Diese
Hypothese wird für viele Menschen enttäuschend sein, denn wenn auch das Ändern
der Bedingungen von Schwangerschaft, Geburt und Erziehung im großen Rahmen
kein kleines Projekt wäre - die Werte und Glaubenssätze einer ganzen Kultur zu
verändern, wäre ein wahrhaft gigantisches Unterfangen mit einem langen und
entmutigenden Zeithorizont. Vielleicht würden wir uns etwas weniger entmutigt
fühlen, wenn wir einige Erziehungspraktiken benennen könnten, die wir zu
unseren Lebzeiten zu korrigieren versuchen könnten. Aber vielleicht liegt die
wahre Urheberschaft für manche Entwicklung bei der Gesellschaft, und so könnten
wir letztendlich zu demselben Schluss kommen, den William Ralph Inge im frühen
20. Jahrhundert formuliert hat: "Der beste Zeitpunkt, den Charakter eines
Kindes zu beeinflussen, liegt etwa 100 Jahre vor seiner Geburt."
    Aus
schriftlichen Aufzeichnungen wissen wir indes, dass es in den verschiedensten
Kulturen weltweit und zu allen Zeiten unter wechselnden Bezeichnungen
Soziopathen gegeben hat. Zum Beispiel hat die psychiatrische Anthropologin
Jane M. Murphy 47 den von den Inuit geprägten Begriff kunlangeta beschrieben, der einen Menschen bezeichnet, dessen "Verstand
weiß, was zu tun ist, es aber nicht tut". Murphy schreibt, dass im
Nordwesten Alaskas der Ausdruck kunlangeta "auf
einen Mann angewendet werden könnte, der zum Beispiel immer wieder lügt und
betrügt und Dinge stiehlt, nicht auf die Jagd geht und, wenn die anderen Männer
nicht im Dorf sind, viele Frauen sexuell missbraucht". Die Inuit nehmen
stillschweigend an, dass kunlangeta nicht
geheilt werden kann. Und so war es laut Murphy unter den Inuit üblich, einen
solchen Mann zu zwingen, auf die Jagd zu gehen, um ihn dann ohne Zeugen über
die Eiskante zu stoßen.
    Obwohl
Soziopathie überall und immer vorzukommen scheint, gibt es glaubhafte Belege
dafür, dass einige Kulturen weniger Soziopathen hervorbringen als andere.
Interessanterweise scheint Soziopathie in gewissen ostasiatischen Ländern
relativ selten aufzutreten, 48

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